Mentale Gesundheit

Arbeit und Leben im Musik-Business: „The Music Industry Manual“

Mit „No sleep til Brooklyn“ waren die Beastie Boys nicht die ersten, die über das verrückte Leben als Künstler auf Tournee und den Lifestyle des Sex, Drugs and Rock ‘n’ Roll gesungen haben. Unzählige Songs der Musikgeschichte thematisieren versteckt und codiert (Brown Sugar, Rolling Stones) oder ganz offen (Rehab, Amy Winehouse) Drogenkonsum und Suchtverhalten. „The Music Industry Manual“ analysiert Mental Health in der Musikindustrie und zeigt Lösungswege auf.

The Music Industry Manual(Bild: Falco Zanini)

Auch tiefergehende psychische Probleme und deren Bearbeitung werden in Songs verarbeitet und von den Künstlern damit teilweise um Hilfe gerufen – so bei den Beatles mit „Help“, Lady Gaga mit „911“, den Rolling Stones in „Paint it Black“ oder Metallica in ihrem Album St. Anger. Viele bekannte Künstler konnten dem inneren Druck oder den Belastungen aus der Umwelt und ihrer Psyche nicht standhalten und schieden aus dem Leben: Manche freiwillig als bewusste Handlung, andere wiederum an den Folgen ihres Suchtverhaltens mit einer Überdosis Drogen, Alkohol oder einer Mischung davon. Eines der bekanntesten Opfer ist sicher Kurt Cobain, der sich im Drogenrausch selbst erschoss.
Doch das Arbeiten und Leben in und mit der Musikbranche macht auch vor der Crew nicht Halt. Einige von uns trauern sicher um liebe Kollegen, die ebenfalls die Belastungen nicht mehr ausgehalten haben.

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Risiken für Crews

Die Frage, ob Angehörige der Musikindustrie, darunter besonders Künstler, anfälliger für psychische Probleme sind, stellten sich Wissenschaftler in den USA ab 1998 in einer größeren Studie, bei der bereits Auffälligkeiten bei Depressionen und Schlafstörungen zu finden waren. Der Tod von Amy Winehouse 2011 war der Auftakt für eine ganze Reihe von weiteren Studien speziell im englisch-sprachigen Raum (USA, UK, NZ, AUS), bei denen durchweg deutlich höhere Risiken für Probleme mit Mental Health in der Musikindustrie als in der Gesamtbevölkerung festgestellt wurden. Dabei wurden in NZ und AUS ausdrücklich auch Crew-Mitglieder befragt.

Ausgehend von diesen Erkenntnissen und eigenen einschlägigen Erfahrungen schrieb Tamsin Embleton ihr nun veröffentlichtes Buch „Touring and Mental Health – The Music Industry Manual“ zusammen mit anderen Autoren. Zuvor im Booking- und Tour-Management tätig, kennt sie die Thematik rund um Mental Health bestens. Mittlerweile ist sie Psychoanalytische Psychotherapeutin, spezialisiert auf die Musikindustrie und gründete das „Music Industry Therapist Collective – MITC“.

The Touring Manual(Bild: Falco Zanini)

Themen-Tour mit Zwischenstopps

Dieses Buch kann nach sorgfältiger Durchsicht tatsächlich als „Manual“, als Handbuch rund um Mental Health betrachtet werden. Die sechs Hauptkapitel sind nahezu in Form einer Tournee durch das Thema angelegt und beginnen bei den Grundlagen von Mental Health, Mental Illness und Neurodiversität. Daran anschließend werden Fragen der Gruppendynamik behandelt, die besonders für das Tourneegeschäft aber auch die ständig neu stattfindenden Gruppen- bzw. Teambildungen in unserer Branche entscheidend sind. Zwei weitere Kapitel beschäftigen sich mit den Haupterscheinungen psychischer Störungen (Ängste, Depression, Krisenmanagement) und den oft ungesunden Ausweich- und Unterdrückungsmechanismen und deren Auswirkungen (Stress, Trauma, Sucht). Das Buch schließt mit zwei Kapiteln zu Möglichkeiten der Gesundheitserhaltung bis hin zur dauerhaften Pflege der eigenen Gesundheit.

Jedes Kapitel und Unterkapitel ist auch als abgeschlossene Einheit lesbar und enthält viele Tipps, Hinweise, Hintergrundinformationen, Anregungen und reichhaltige Quellenangaben für alle, die weiterlesen wollen. Zusätzlich bietet die Homepage www.touringmanual.com ergänzendes Material an.

So richtet sich das „Manual“ an jede potenziell oder tatsächlich betroffene Person in der Musikbranche zur Vorsorge oder auch Selbsthilfe. Ganz besonders sollte es den Akteuren der betrieblichen Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes – den Arbeitgebern – dienen, in ihrem eigenen Unternehmen an der Thematik zu arbeiten und möglichst präventiv zu wirken. Bereits vor den aktuellen „New Work“-Appellen und Gen Z-Wünschen zur Gestaltung der Arbeitswelt schuf der Gesetzgeber vor über zehn Jahren im Arbeitsschutzgesetz die Verpflichtung, die psychische Belastung der Beschäftigten im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu betrachten. Bei der Pflicht, die GBU Psyche ordentlich durchzuführen, unterstützen die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen mit teilweise ausführlichen Handlungshilfen, Leitfäden und Online-Tools (siehe Kasten), ebenso wie die Betriebsärzte und spezialisierte Anbieter.

In der Praxis führen persönliche Erfahrungen betroffener Entscheider oder Unternehmen mit genereller Präventionsmotivation bereits zu konkreten Handlungen. Erste namhafte Firmen der Branche bieten ihren Beschäftigten beispielsweise an, jederzeit anonym eine benannte psychische Beratungsstelle aufsuchen zu können, um eine erste Hilfestellung zu bekommen. Andere Betriebe bilden interne Mental Health First Aider (MHFA) aus, die Mit-Beschäftigte unterstützen können. Für die größte Not steht als zentrale Anlaufstelle in Deutschland die Telefonseelsorge bereit, die ein anonymes Erstgespräch per Telefon führt und an passende Beratungsstellen weiterleitet.

Backstage-Idylle(Bild: Falco Zanini)

Gerade in Zeiten steigender Arbeitsbelastung und kleiner werdenden Personalpools muss für sicheres, gesundes und nachhaltiges Arbeiten und Leben gesorgt werden.

Links und Angebote rund um Mental Health

>> www.touringmanual.com

20 Songs über Depressionen und andere Erkrankungen
>> www.udiscover-music.de/popkultur/world-mental-health-day-songs

Psychische Belastung in der Gefährdungsbeurteilung – Einstieg bei der DGUV
>> www.dguv.de/de/praevention/themen-a-z/psychisch/index.jsp

VBG-Infos und Tools für Betriebe
>> www.vbg.de/DE/3_Praevention_und_Arbeitshilfen/2_Themen/11_Gefaehrdungsbeurteilung/9_GefBU_psych_Bel/Gef_BU_psych_Bel_node.html

Arbeitsprogramm Psyche – Materialien & Tools
Weiterführende Informationen und Gestaltungsempfehlungen
>> www.gda-psyche.de/

Mental Health in Music – Deutscher Verband mit Informationen und Unterstützung
>> www.mim-verband.de

Erste Anlaufstelle bei Hilfsbedarf
Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222

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