Martin-Professional-Fabrik in Ungarn

Besuch bei Martin Professional: Produktion mit Präzision

Pécs? Nie gehört. So ging es wohl schon vielen Besuchern der neuen Martin-Professional-Fabrik in Ungarn. Wissbegierig und um Martin Professional aktuelle Rückmeldungen aus den Märkten zu geben reisten wir 2024 mit einer internationalen Mischung von Branchenexperten an. Sie reichte vom amerikanischen Spezialisten für Bühnenbeleuchtung und Erneuerbare Energien im Stage-Einsatz über deutsche Veranstaltungstechnik-Dienstleister bis zum Automessen-Spezialisten aus London.

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Dabei ist Pécs ganz unten im Süden Ungarns, schon kurz vor der Grenze zu Kroatien und Serbien, ein traditionsreicher Industriestandort. Groß geworden mit Kohle- und Uranabbau lebt die fünftgrößte Stadt Ungarns heute von einer Vielfalt an Industrie. Optischer Gegenpol zur noch etwas rustikalen Industrieoptik wirkt die wunderschöne Altstadt. Zu den großen Arbeitgebern zählen mehrere Elektronik-Unternehmen, bei der Fahrt durch die Industriegebiete findet man auch Namen deutscher Maschinebaufirmen.

 

Aber was zum Himmel macht ein dänischer Scheinwerfer-Hersteller – hier?

Wareneingang Umpacken in antistatische Boxen und Einlagerung
Wareneingang Umpacken in antistatische Boxen und Einlagerung (Bild: Martin Professional / Zoltán Kovács)

Von Dänemark nach Pécs – halb

Mit dem Verkauf von Martin an Harman 2013 konzentrierte Harman die Entwicklung auf Aarhus in Dänemark und Shenzhen in China. Weil Harman für seine riesigen Automotive-Sparte in Pécs bereits eine Fabrik betrieb – die Stadt wirbt auch heute noch mit ihrem auch für Ungarn unterdurchschnittlichen Lohnniveau – schien logisch, auch die Martin-Fertigung dort hinzuverlegen. Ab 2016 wurden dort außerdem Studer (heute bei Evertz), Soundcraft, und die 2013 übernommenen Intellivox-Lautsprecher (ehemals Duran Audio) gefertigt.

100% Eingangskontrolle bei den optisch relevanten Bauteilen
Light Rod „Lichtstab“ aus dem Mac One

Dies offenbar so erfolgreich, dass Anfang der 2020er der Platz in der Fabrik schon wieder eng und eine Erweiterung nötig wurden. 2023 sanierte Harman daher auf der anderen Seite der Stadt eine durch Umzug frei gewordene Großdruckerei-Immobilie. Von Grund auf erneuert entstanden 40% mehr Fläche als an dem vormaligen, mit Automotive geteilten Standort und ebenfalls 2023 zog die Fertigung von Martin Professional hierhin um. Ebenfalls wird in diesem Komplex nun für Intellivox endmontiert und es gibt ein Reparaturzentrum für AKG, Soundcraft, JBL und Lexicon.

In Pécs trafen wir neben Ben Payne (Sales Director, Lighting EMEA) und David Glaubke (Director Global Corporate Communications) nicht nur den lokal für Production und Process Engineering verantwortlichen András Dobre. Sondern vor allem auch – extra aus Dänemark angereist – Henrik Kristensen als Product Manager, Stage Lighting: Henrik ist mit seiner langen Tätigkeit seit 2002 ein echtes Martin-Lighting-Urgestein.

Farbmischung Einsetzen des Light Rod
Backlight Cone Schutz gegen Geräteschäden aus Sonneneinstrahlung

State oft he art

Vom ursprünglichen Fabrikgebäude scheint nicht mehr viel übrig geblieben zu sein – das Team vor Ort zeigte sich im Gespräch selbst noch immer etwas erstaunt darüber, den Umzug in ein so drastisch zu sanierendes Gelände pünktlich gestemmt zu haben.

Lieferrampen auf der einen und glitzernde Frontfassade auf der anderen Seite prägen den äußeren Eindruck. Innen erwartet einen der Fertigungsstandard, wie er auch in vielen anderen Werken und Industrien heutzutage gängig ist. Wenn man kurz die Anreise durch das eher einsame, ungarische Karpatenbecken ausblendet, könnte man nicht mehr unterscheiden, ob man hier gerade in einer Fabrik in Süddeutschland, China oder Dänemark gelandet ist.

Aus über 3000 Teilen und Arbeitsschritten entsteht ein Moving Light
Assembly Line des Mac One
Steifer Bügel des Viper XIP kombiniert mit neuer Motor-Software für höchste Geschwindigkeiten als Follow Spot
Netzteil Martin-Produkte werden zu großem Anteil in 200-Volt-Märkten eingesetzt, daher ist die PFC auf diesen Spannungsbereich optimiert

Auch die Team-Aufstellung soll dies widerspiegeln: Das R&D für die Lichtsparte wird als eine Einheit aus rund 70 Engineers gesehen. Mit Zeitversatz arbeitet sie Hand in Hand aus Aarhus und Shenzhen den rund 300 Arbeitskräften in der Fertigung Pécs‘ zu.

Vom ersten Konzept über dessen Validierung, CAD-Design, optischer Simulation und Qualifikation, bis zu mechanischen Tests können unterschiedlich lange Zeiträume verstreichen, die auch hier in bestimmte Gates definiert sind. Alleine an (teilweise externen) Tests fallen rund 75 Aufgaben an, die von Performance und Zuverlässigkeit bis zur Einhaltung internationaler und lokaler Vorschriften reicht.

Detlef Hoepfner (l.) traf hier Henrik Kristensen, Product Manager Stage Lighting und seit 2002 ein echtes Martin-Lighting-Urgestein.
Vergleichsprüfung im Zweifelsfall anhand eines „Golden Reference Sample“
Sichtprüfung der Performance durch speziell geschulte, erfahrene Mitarbeiter:innen

Tausendfach Elektromechanik

Bis es so weit ist, vergehen sehr, sehr viele Zwischenschritte. Auch das nicht weiter Industrie-untypisch. Aber es gerät doch manchmal in Vergessenheit, wenn man als User denkt: Könnte das Produkt nicht noch dies, oder das …? Allein Warenannahme, das Umpacken in fertigungsgerechte Behälter, das Einlagern und dann die bedarfsgerechte Verteilung auf die Montagestrecken benötigen hier schon mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen, als ein Kleinbetrieb vielleicht insgesamt vorhält. Hinzu kommt, dass unsere aktuelle Lichttechnik nicht nur moderne LED-Leuchtmittel und immer mehr Elektronik und Software enthält: Es ist ja fast schon ein Anachronismus, dass die mechanische Komplexität heute deutlich höher statt einfacher ausfällt als vor Jahrzehnten. Ein modernes Fixture kann durchaus über 3000 Teile/Fertigungsschritte erfordern. Entsprechend sind die Montagestationen in der Fabrik jeweils von einer Fülle aus Kleinteil-Lagern umgeben, aus denen die Moving-Light-Module entstehen. Die Handarbeit wird dabei von aktueller Mess- und Fertigungstechnik unterstützt, für viele Arbeitsschritte gibt es individuelle Montagehilfen, die Baugruppen in der optimalen Position halten.

IP-sicher, aber „nicht ganz dicht“

Die Dänen bei Martin waren schon immer stolz auf ihre verschiedenen Test-Tricks und „Dreck-Mischungen“, um diese sensiblen Mechanik-Kunstwerke sicher gegen Alltags- und Wettereinflüssen auszustatten. Auf dem Weg zu immer besserer Langlebigkeit und IP-Klasse haben sie sich für die aktuelle Moving Lights wie den hier ebenfalls gefertigten MAC Viper XIP für einen „Sweet Spot“ entschieden, an dem sie das Gleichgewicht zwischen Anwendernutzen und Aufwand/Kosten ideal sehen: IP54.

Diese Klasse sei nicht nur für die gängigen Outdoor-Einsätze geeignet (sofern man ein Produkt nicht ganzjährig fest installiert sich selbst überlässt). Konstruktiv biete IP54 eine Reihe von deutlichen Vorteilen: Diese Designs können leichter und schlanker ausfallen. Sie lassen sich problemlos öffnen und ohne Dichtigkeitsprüfung oder pingelige Beachtung von Drehmomenten wieder schließen, sie benötigen bei gleicher oder höherer Leistung weniger aufwändige Kühlung und vermeiden Leistungsreduzierungen bei Hitze. Als Nebeneffekt sind sie dadurch auch leiser.

Die „atmende“ Konstruktion beugt zudem schädlicher Kondensation vor. Erst wenn ein echter 24/7-Außeneinsatz über alle vier Jahreszeiten ansteht, empfiehlt Martin, selbstverständlich auf IP65 zu wechseln.

Kalibration von Helligkeit und Farbwiedergabe
Kalibration von Helligkeit und Farbwiedergabe (Bild: Martin Professional / Zoltán Kovács)

Sinnvoll konservativ

Was man bei Martin aber vermeidet: In hoher Frequenz immer neue Varianten der Produktideen zu releasen – man soll sich auch diesbezüglich auf seine Investition verlassen können. Beständigkeit versucht man selbst bei einem Thema zu demonstrieren, dass bereits auf der Anreise im Branchenaustausch immer wieder zur Sprache kam: Eine Sustainability wird nicht nur immer öfter von den „Kunden von Martin Professionals Kunden“ eingefordert. Auch Martin als Harman-Geschäftszweig – und die wiederum als Samsung-Tochter – sind in ein Nachhaltigkeits-Gesamtkonzept des Konzerns eingebunden: Er will bis 2040 klimaneutral agieren. Selbst wenn die Professional-Unit hier demotivierter wäre – allein Harmans Automotive-Zweig ist hier klar positioniert und auch bei Harman wedelt der Schwanz nicht mit dem Hund. Das zeigt sich aktuell und konkret an kurzfristigen Zielen wie dem klimaneutralen Bezug von Energie der Fabrik in Pécs. Eine Photovoltaik-Fläche, die einen Teil davon liefern wird, ist noch für 2024 geplant.

Nachhaltige Verpackung für hochwertige Produkte
Nachhaltige Verpackung für hochwertige Produkte (Bild: Martin Professional / Zoltán Kovács)

Detaillierter werden die geforderten Anstrengungen bei den konkreten Produkten: Länger schon werden beispielsweise in Cases genutzte Lampen bereits ab Werk mit einem später im Case weiterzuverwendenden Schaum-/SIP-Einsatz von Amptown Cases ausgeliefert statt Bergen von Plastikmüll im Karton. Geeignete Produkte, die in Installationen landen und diesen SIP-Einsatz nicht benötigen, erhalten dagegen einen superaufwändig geformten Kartoneinsatz.

Und schließlich wurde die gesamte Fabrik auf Geothermie und Wärmepumpen umgestellt. Die leuchten nicht, aber dafür die Augen der technisch interessierten Besuchergruppe: Ob man das mal sehen kann? Es werden die allgegenwärtigen Zugangscodes geprüft und telefoniert, ein Fotograf vorgeschickt … NDA hin oder her – sajnos nem, leider nein. Aber es muss ja auch beim nächsten Besuch noch was zu sehen geben!

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