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Offener Brief der LiveKomm: Ruin der Club- und Festivalkultur in Deutschland steht bevor

Die LiveMusikKommission, kurz LiveKomm, macht in einem Offenen Brief auf die dramatische Situation der Club- und Spielstättenlandschaft im Zuge der Corona-Krise aufmerksam. Der Brief des Musikspielstätten-Verbandes ist an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die Landesregierungschefs, die Bundes- und Landtagsabgeordneten und das “Parlamentarische Forum Clubkultur und Nachtleben” des Deutschen Bundestages adressiert.

Livekomm

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In dem Brief heißt es wie folgt:

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
sehr geehrter Herr Bundesminister Scholz,
sehr geehrter Herr Bundesminister Altmaier,
sehr geehrte Frau Staatsministerin Grütters,
sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder,
sehr geehrter Regierender Bürgermeister,
sehr geehrter Erster Bürgermeister, sehr geehrter Bürgermeister,
sehr geehrte Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete und Parlamentarier,
sehr geehrte Mitglieder ‘Parlamentarisches Forum Clubkultur und Nachtleben’ des Deutschen Bundestages,

bezugnehmend auf den offenen Appell des Deutschen Musikrats vom 27.05.2020, den wir vollumfänglich mittragen, halten wir es für wichtig und notwendig, die Betroffenheit der Musikspielstätten und (Live-)Clubs durch die Corona-Pandemie genauer zu beschreiben und auf eine Besonderheit in der schwierigen Lage aufmerksam zu machen:

„Wir waren die ersten, die zugemacht haben und werden wohl die letzten sein, die wieder aufmachen können.“

Im Gegensatz zu vielen Konzerthäusern im Bereich der sogenannten E-Musik sind die privatgeführten Clubs und Livebühnen nicht staatlich gefördert, sondern erwirtschaften das von ihnen kuratierte Kulturprogramm aus eigener Kraft – mit einer Umsatzrendite von durchschnittlich 1%. Dies ermöglicht weder die Bildung von Rücklagen noch das Bedienen von Krediten.

Seit März können keine Einnahmen generiert werden, die Fixkosten jedoch bleiben. Erschwerend kommt hinzu, dass der Lockdown die Betreiber*innen direkt nach den branchenüblichen, umsatz-schwachen Monaten Januar/Februar getroffen hat.

Auch mussten bislang alle für den Sommer geplanten Musik-Festivals von den Veranstalter*innen abgesagt werden.

Je nach Bundesland konnten einige Betreiber*innen zügig aufgesetzte Soforthilfeprogramme in Anspruch nehmen. Viele sind jedoch nur auf einen kurzen Zeitraum ausgerichtet und nicht auf eine durchgehende Schließung von vielen Monaten. Sofern Hilfen in Anspruch genommen werden konnten, sind sie inzwischen aufgebraucht.

Doch etliche Clubs, Live-Spielstätten und insbesondere kleinere Musikfestivals sind bisher gänzlich durch sämtliche Raster gefallen, da sie nicht in die bisherigen Programme passten.

Eine Masseninsolvenz der gesamten Club- und Livespielstättenbetreiber*innen droht unmittelbar. Der Ruin der Club- und Festivalkultur in Deutschland steht kurz bevor.

Was die Akteure bisher noch nicht hat aufgeben lassen, ist die Hoffnung auf die durch die Bundesregierung angekündigten Sonderhilfsprogramme. „Kulturelle Veranstaltungen sind für unser Leben von allergrößter Wichtigkeit“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Podcast am 09.05.2020 – und sicherte Hilfen zu.

Unsere Clubs sind Kulturspielstätten und stehen für eine Szene voller Vielfalt. Uns eint die gemeinsame Haltung, der Diversität der Menschen einen geschützten Raum zur freien Entfaltung zu geben. Jeder findet seine Nische und sein Angebot. Darüber hinaus stellen wir uns der gesellschaftlichen Aufgabe, nach Corona mit aller Kraft “das Dunkle zu beleuchten”.

Wir sind ein Wirtschaftsfaktor: Jedes Jahr besuchen ca. 30,5 Millionen Menschen unsere Veranstaltungsorte in Land und Stadt, in Metropole oder Dorf, Mittel- oder Kleinstadt. Die Clubkultur erwirtschaftet jährlich 623 Millionen Euro, hat 28.000 feste und freie Mitarbeiter*innen. Allein in Berlin liegen die gesamtwirtschaftlichen Umsatzeffekte durch Clubtourismus bei 1,48 Mrd. Euro[1].

Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen für uns die Künstler*innen und der musikalische Nachwuchs – auch abseits des Mainstreams. An unseren Orten werden die Musiker*innen geformt, die später auch in großen Hallen und Arenen in Deutschland und weltweit auftreten und Millionen von Menschen begeistern. Diese Wertschöpfungskette der musikkulturellen Erneuerung benötigte schon immer die Clubs und Festivals im Live-Bereich.

Auf Abstandsregelungen basierende Exit-Strategien, wie sie ggf. bei z.B. Messen, Kinos und vielleicht bei einigen Theatern o.a. anwendbar wären, sind für Clubs und Live-Spielstätten in der Regel gänzlich ungeeignet, da Clubkultur und Live-Musik vom menschlichen Bedürfnis auf Nähe lebt, dem Tanzen, dem Miteinandersein. Abstand zerstört das Live-Musikerlebnis – damit wird der Club- und Konzertbesuch, und noch mehr in geschlossenen Räumen, obsolet.

Um die geschlossenen Clubs und Musikspielstätten vor einer Masseninsolvenz zu bewahren, benötigen wir dringend schnelle und passgenaue Hilfen, die unsere Fixkosten tragen und es ermöglichen, ein auf die Zukunft gerichtetes Kulturprogramm zu planen – das gleichermaßen Künstler*innen, Gesellschaft und Wirtschaft zugutekommt. 

Einmal verlorene Musikspielstätten werden in den teuren Städten und auf Grund der hohen Betriebsauflagen sowie entsprechend hohen Investitionen in vielen Fällen nicht mehr zu reaktivieren sein.

Neben Zuschüssen für die Überbrückung der Schließungsphase halten wir Finanzhilfen für Wiedereröffnungsprogramme, Gesetzesinitiativen und steuerliche Anpassungen für erforderlich, die wir Ihnen im folgenden Anhang darlegen.

Unterzeichner dieses Offenen Briefes ist die LiveMusikKommission e.V. (LIVEKOMM) mit ihren 15 Netzwerken und rund 650 Mitgliedern aus dauerhaften und temporären Musikspielstätten.

[1] „Clubkultur Berlin Studie im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, 2019

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