Frequenzmanagement Lollapalooza 2022 Berlin

Kein Platz für eine Funke?

Über 60 Acts auf insgesamt fünf Bühnen, unzählige mehr in diversen Nebenbereichen. 525 zugewiesene Frequenzen, weitere 103 von umliegenden Quellen und etwa 40 abgewiesene Frequenzanträge: Frequenzmanagement mit wissenschaftlicher Unterstützung beim Lollapalooza.

(Bild: DBM31/Shutterstock)

Übersicht: 

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Der Platz ist knapp, die Anforderungen sind hoch

Fünf Messstationen sorgen für komplette Rundumsicht

Frequenzmanagement ist Teamwork

Herausforderungen in der Umsetzung

Auswertung der Daten kann wegweisende Bedeutung haben


Eine besondere Herausforderung bei Festivals und Großveranstaltungen stellt die Frequenzkoordination dar. Das Lollapalooza, das im September 2022 rund 100.000 Besucher*innen auf das Gelände des Olympiastadions lockte, ist keine Ausnahme und dient uns als wegweisendes Forschungsbeispiel für professionelle Frequenzkoordination. Immer mehr Künstler*innen greifen auf drahtlose Anwendungen zurück, darunter Mikrofone, InEar-Systeme, Intercom oder auch Kameras. Gleichzeitig nehmen Mobilfunk und DVB-T2-Kanäle, über die TV-Programme gestreamt werden, viel Platz in dem zur Verfügung stehenden Spektrum ein.

Abb.1 - Frequenzmanagement Team Lollapalooza
Dominik Feltes, Matthias Fehr und Marco Völzke (v.l.n.r.) vor der Perry’s Stage im Olympiastadion (Bild: DBM31/Shutterstock)

Verantwortlich für reibungslos funktionierende Drahtlosanwendungen war das Team um Frequenzkoordinator Marco Völzke. Ihm assistierten Matthias Fehr, der das Projekt wissenschaftlich begleitete und Dominik Feltes, der für das On-Site Troubleshooting, also die Problemlösung vor Ort, und Betreuung der Techniker*innen auf den Bühnen zuständig war.

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Der Platz ist knapp, die Anforderungen sind hoch

Während er am Laptop einen neuen Antrag bearbeitet, sagt Marco Völzke: „Schon am Morgen des zweiten Festivaltages haben wir eine Summe von 424 angemeldeten Drahtlosgeräten koordiniert. Über den gesamten Festivalzeitraum wurden insgesamt 631 Frequenznutzungen bei uns beantragt, maximal 525 Frequenzen wurden zeitgleich genutzt. Etwa 40 Anträge mussten abgelehnt werden. Zusätzlich zu den bereits koordinierten Anwendungen wurden von den Frequenz-Scannern rund 103 weitere Frequenznutzungen außerhalb der Gebäude und Flächen des Festivals aufgezeichnet. Da diese 103 Frequenzen durch die von Bundesnetzagentur erteilten Allgemeinzuteilung möglich sind, ist diese Nutzung natürlich legal. Unkoordinierte Funksignale können aber bei einer koordinierten Veranstaltung in dieser Größenordnung zu massiven Problemen führen. Bei einer solchen Anzahl an koordinierten und nicht koordinierten Frequenzen ist es uns als Frequenzmanagement nicht möglich, einen optimalen, störungsfreien Betrieb zu gewährleisten und gleichzeitig allen Frequenzwünschen nachzukommen. Ab einem bestimmten Punkt haben wir praktische Grenzen, da müssen wir Kompromisse eingehen”.

Frequenzspektrum im Bereich 410 - 870 MHz
Beim Festival aufgezeichnetes Frequenzspektrum im Bereich 410 – 870 MHz (Bild: DBM31/Shutterstock)

Marco Völzke fügt hinzu: „Diese Grafik (s. Abb. oben) dokumentiert eine erhebliche Frequenznutzung im von uns koordinierten Bereich während des gesamten Festivals. Das ist praktisch das, was die Scanner während der Festivaltage aufgezeichnet haben. Hier am Olympiastadion in Berlin bleiben uns, abzüglich des Mobilfunks (im oberen Teil der Grafik mit „IMT“ gekennzeichnet) und DVB-T2 (im oberen Teil der Grafik mit „TV“ beschriftet) gerade einmal 196 MHz übrig. Bei Veranstaltungen wie dem Lollapalooza ist das viel zu wenig. Als Konsequenz mussten einige Frequenzanfragen abgelehnt werden – was natürlich für die Künstler*innen, deren Crews und auch für uns als Frequenzmanagement eine unerwünschte Situation darstellt.” Marco Völzke spricht damit einen wichtigen Punkt an. Die für die von uns genutzten „PMSE-Anwendungen“ (Program Making and Special Events), freigegebenen Frequenzbereiche liegen in Deutschland zwischen 470-608 MHz, 614-698 MHz, 736-753 MHz, 823-832 MHz und 863-865 MHz. Die Frequenzressourcen, die der Veranstaltungsbranche zur Verfügung stehen, wurden durch die Digitale Dividende 1 und 2 von ursprünglich 392 MHz auf circa 250 MHz reduziert und werden vorrangig vom Rundfunk (DVB-T2) genutzt. Die lokal verbleibenden Ressourcen stehen jedoch nicht nur PMSE-Anwendungen allein zur Verfügung – es gibt zusätzliche Frequenznutzungen, auf die in der Koordination Rücksicht genommen werden müssen.

Matthias Fehr: „Das für PMSE-Geräte zur Verfügung stehende Spektrum ist knapp, die Qualitätsanforderungen für die Content-Produktion sind hoch. Der verfügbare Frequenzbereich kann unter Umständen noch knapper werden, sofern zum Beispiel das 600-MHz-Band bei der World Radio Communication Conference 2023 in Dubai an andere Frequenznutzer, wie zum Beispiel den Mobilfunk, übertragen wird“.

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Fünf Messstationen sorgen für komplette Rundumsicht

Beim Lollapalooza 2022 wurden Daten zur Frequenznutzung mit fünf verschiedenen Messempfängern gesammelt. Ziel dieser Messungen war es, möglichst genau nachweisen zu können wie viele Drahtlosgeräte während des Festivals eingesetzt wurden und Aufschlüsse über die für eine sichere Durchführung solcher Veranstaltungen benötigte Bandbreite zu erlangen. „Nach aktueller Datenlage und mit der auf dem Markt zur Verfügung stehenden Technik ist ein Festival dieser Größe, ohne die Nutzung des 600 MHz-Bandes, in dieser Form höchstwahrscheinlich nicht mehr durchführbar“, so Fehr. Einzige Alternative zurzeit: kabelgebundene Technik. „Das bedeute eine enorme Einschränkung für die Künstler*innen und deren Darbietungen, Performances würden massiv an Flexibilität verlieren oder zum Teil sogar unmöglich werden.“

Abb.2 - SD3000-Antenne auf dem Dach des Olympiastadions
Sirio SD3000-Antenne auf dem Stadiondach zur Observation der Perry’s Stage, des Weingartens und Teile des Maifeldes (Bild: DBM31/Shutterstock)

Beginnend am ersten Festivaltag wurde die Frequenznutzung auf dem gesamten Gelände rund um die Uhr observiert. Mit verschiedenen Antennen, die sowohl auf dem Dach des Olympiastadions als auch an beiden Mainstages und an der Alterna Stage positioniert waren, konnten diverse Träger, die von Drahtlosgeräten gesendet wurden, detektiert und dokumentiert werden. Die Observation vor Ort übernahm Matthias Fehr, der mit dem von ihm programmierten PMSE Occupation Recorder und einem eigens für diesen Zweck eingerichteten Local Area Network (LAN) Zugriff auf alle fünf Messstationen hatte. „Als Spectrum Scanner haben wir einen Rohde & Schwarz Scan- Empfänger FSUP26 der Uni Nürnberg Erlangen mit einer Sirio SD3000-Antenne auf dem Stadiondach, ebenfalls auf dem Stadiondach einen Rohde&Schwarz Scan-Empfänger FPC1000 mit einer Sennheiser A5000CP-Antenne, einen Rohde&Schwarz Scan-Empfänger FSL3 mit einem Shure Antennenverteiler UA844 und zwei Shure UA870-Antennen an der Main Stage North, einen Rohde&Schwarz Scan-Empfänger FPL3 mit einer Sennheiser A5000CP-Antenne an der Main Stage South und einen Rigol Scan-Empfänger DSA815TG mit einer Sennheiser A2003-Antenne an der Alterna Stage. Insgesamt konnten wir in dem für uns relevanten Frequenzbereich (470 MHz bis 870 MHz) über den gesamten Zeitraum 19.335 Scans sammeln, die wir nun ausgewertet und dokumentiert haben“, so Matthias Fehr.

Marco Völzke resümiert: „Über den gesamten Festivalzeitraum konnten so 628 PMSE-Signale detektiert werden. Im Vergleich zu der Anzahl der zugeteilten Frequenzen (525) entspricht das einer Differenz von 103 nicht angemeldeten Trägern, die zu Störungen bei den koordinierten Frequenzen führen können. Das ist ein Problem, das durchaus showgefährdend sein kann“.

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Frequenzmanagement ist Teamwork

Eine weitere Aufgabe während des Festivalbetriebes war die Betreuung der Techniker*innen auf den jeweiligen Bühnen. „Für ein so großes Festival war es, jedenfalls aus Sicht der Frequenzkoordination, verhältnismäßig ruhig in Bezug auf Troubleshooting“ meint Dominik Feltes, „es gab wenige Zwischenfälle, bei denen man intervenieren musste“. Zur Unterstützung hatte er einen Viavi JD875B-Handheld Spectrum Scanner dabei. „Durch das Netzwerk aus Antennen- und Scannerpositionen war selbst die Lokalisierung von Störsendern, die je nach Topographie des Festivalgeländes und Besucheraufkommen mit einem Handheld Spectrum Scanner und Richtantenne mitunter sehr viel Zeit in Anspruch nimmt bis man den Sender gefunden hat und abschalten kann, sehr viel effektiver. Ein potenziell nicht koordinierter Träger konnte durch die Antennenpositionen- und Ausrichtungen an jedem Punkt auf dem Festivalgelände immer von mindestens zwei Scannern detektiert werden. Durch den Vergleich der Antennensignale konnte man dann abschätzen, wo sich der Störsender gerade aufhält und die Suche präzisieren. Mit Hilfe von Matthias und Marco im HF-Office war es so möglich, innerhalb von wenigen Minuten reagieren zu können. Ein effizientes Frequenzmanagement ist Teamwork.“ Zum Glück sei dies kaum vorgekommen.

Abb.6 - Viavi JD785 Perrys Stage
Viavi JD785B mit einer Shure-Antenne UA8 an der Perry’s Stage (Bild: DBM31/Shutterstock)

Die meisten Probleme, die während des Festivals auftauchten, waren recht einfach zu lösende Hardware-Einstellungen. „Drahtlostechnik zählt bei vielen Produktionen noch unter „ferner liefen“. Die Monitortechniker*innen müssen sich – neben den eigentlichen Aufgaben – auch noch um die Konfiguration der Geräte kümmern. Da können durchaus Fehler passieren, die jedoch erst während des Soundchecks oder, noch schlimmer, während der Performance auftauchen“ meint Feltes.

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Herausforderungen in der Umsetzung

Zu einer brisanten Situation sei es bei einem der Mainacts gekommen: „Leider hatte der Monitortechniker kein Vertrauen in unsere Koordinierung, da sein Programm, in das er die von uns zugeteilten Frequenzen eintrug, einige Inkompatibilitäten angezeigt hat. Das passiert bei diesem Programm öfter, da die Parameter, mit denen dieses Programm bestimmt ob Frequenzen zueinander kompatibel sind oder nicht, recht großzügig gestaltet sind“, beschreibt Dominik Feltes. Dieser Umstand habe dazu geführt, dass ein anderer Mainact massive Probleme auf einem seiner Mikrofonkanäle festgestellt hat, da sich die beiden Trägerfrequenzen überlagert haben. „Solche Umstände können die Performances der Künstler beeinflussen oder gar stören“, merkt Fehr an.

Ein weiteres Problem sei immer wieder die Sendeleistung, mit der auf der Bühne gearbeitet wird. Es ist sinnvoll, diese so gering wie nötig zu halten. Gerade InEar-Systeme reagieren sehr empfindlich auf Störungen, die dadurch entstehen können und büßen mitunter an Audioqualität ein oder verschieben gar den Abdeckungsbereich der Antenne. Auch werden Intermodulationen, ebenfalls Störungen, durch Anhebung der Sendeleistung verstärkt. „Eine höhere Sendeleistung bedeutet nicht immer auch eine bessere Gesamtsystemperformance. Die richtige Antennenauswahl und die optimale Antennenposition kann Wunder wirken”, so Feltes.

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Auswertung der Daten kann wegweisende Bedeutung haben

Nicht nur für die Nachvollziehbarkeit von Störungen und das Funkverhalten verschiedener Künstler*innen beziehungsweise deren Crew während des Lollapaloozas ist die Auswertung der Scans bedeutsam. Im Hinblick auf die Arbeit der Initiative „SOS – Save our Spectrum“ und des APWPT (Association of Professional Wireless Production Technologies) für die World Radiocommunication Conference 2023 in Dubai, bei der unter anderem über die Zukunft des 600 MHz-Bandes debattiert wird, sind die Ergebnisse der von Matthias Fehr durchgeführten Messungen ein schlagkräftiges Argument für den Erhalt der Frequenzen für PMSE-Anwendungen. Da das Lollapalooza eine Veranstaltungsgröße repräsentiert, die man dieses Jahr ebenso in anderen Ländern, wie zum Beispiel den Vereinigten Staaten von Amerika, Chile, Argentinien, Brasilien und Indien in ähnlichem Umfang veranstaltet, ist das Resultat nicht nur für Deutschland von Bedeutung. „Falls sich die Länder, die aktuell für den Verkauf des 600 MHz-Bandes sind auch weiterhin dafür einsetzen, dass dieser Bereich nicht mehr von PMSE-Anwendungen genutzt werden kann, ist das Ergebnis unserer Arbeit ein Fakt, der bei der World Radiocommunication Conference nicht einfach übersehen werden kann. Die Datenlage sagt eindeutig: Veranstaltungen wie das Lollapalooza sind so nicht mehr möglich“, so das Fazit von Marco Völzke.

„Die Herangehensweise, wie wir dieses Festival funktechnisch überwacht haben, ist für das Lollapalooza und vergleichbare Veranstaltungen ein Novum. Das Monitoring des gesamten Geländes bietet ganz neue Möglichkeiten, mit denen die Arbeit des Frequenzmanagements sehr viel präziser und effektiver gestaltet werden kann“, sagt Dominik Feltes. Zur Koordination der Frequenzen nutzte das Team das Programm FreqCoord des SRF, das im Rahmen des Lollapaloozas ausgiebig getestet wurde. „Das Zusammenspiel zwischen dem PMSE Occupation Recorder und FreqCoord kann bei Veranstaltungen dieser Größenordnung eine regelrechte Waffe sein.“

„Bei all der Wissenschaft, mit der wir dieses Projekt umgesetzt haben, dürfen wir nur eines nicht aus dem Blick verlieren: am Ende müssen wir die Künstler*innen, deren Performance und deren Crew unterstützen. Ohne gemeinsames Engagement würden Festivals erst gar nicht stattfinden und ein großes Stück Kultur fehlen”, so Matthias Fehr.

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