Um Großereignisse medial angemessen übertragen zu können, ist eine stabile Energieversorgung unabdingbar. Das UEFA Technical Services & Overlay Team erarbeitet daher für Events wie die zurückliegende Fußball Europameisterschaft in Deutschland oder die alljählichen Finale der UEFA-Klubwettbewerbe Konzepte zur Umsetzung, damit diese Strukturen zuverlässig und sicher zur Verfügung stehen.
Ataturk Olympic Stadium (Photo by Michael Regan – UEFA/UEFA via Getty Images) (Bild: 2023 UEFA)
Um bei Großveranstaltungen sicherzustellen, dass deren Energieversorgung zuverlässig und sicher gewährleistet ist, sind Vorplanungen über mehr als zwölf Monate im Voraus nötig. Auch Änderungen in der Stromversorgung der Veranstaltungsstätte selbst und sogar darüber hinaus im Stromnetz rund um die Veranstaltungsstätte können notwendig werden. Um diese Komplexität kümmern sich bei der UEFA Events S.A. im Team von ‘Technical Services & Overlay’ (kurz ‘TECH’) Kai Zimmermann und Karl Knappe. Sie erläutern das UEFA Konzept zur Energieversorung ihrer Grossevents und berichten von ihren Erfahrungen in Planung und Umsetzung.
Anzeige
Was meint ‘UEFA Events S.A.’“?
Kai Zimmermann: Die UEFA Events S.A. ist eine 100%ige Tochterfirma der UEFA zum Zweck der Organisation und Vermarktung aller UEFA Wettbewerbe, deren Fußballspiele und generell UEFA Veranstaltungen, mit Sitz in Nyon/Schweiz.
Ein für große Sportverbände einzigartiges Modell, begünstigt durch die alljährlichen UEFA-Klubwettbewerbeund deren hohen Bedarf an event-organisatorischen Leistungen. Die UEFA Events S.A. deckt hierbei praktisch alle Bereiche einer ‘Full-Service Agentur’ ab: vom Venue- und Guest Management über Hospitality bis hin zur kompletten TV-Produktion wird alles sozusagen ‘in-house’ entwickelt und umgesetzt.
Was bedeutet der Begriff „Overlay“?
Kai Zimmermann: Ganz generell verstehen wir unter ‘Overlay’ alle temporäre Technik und Ausrüstung, welche zusätzlich in ein Stadium eingebracht werden müssen, damit eine Veranstaltung wie zum Beispiel ein Finale der UEFA Champions League stattfinden kann. Das ist notwendig, da diese Events bezüglich Anforderungen an Ausrüstung weit über den normalen Spielbetrieb des jeweiligen Stadions hinausgehen. Des Weiteren unterscheiden wir zwischen ‘Technical Services’, der Einbringung von Technik, welche zum Spiel eine Dienstleistung erfordert, so zum Beispiel die Energieversorgung und ‘Overlay’, reine Ausrüstung, welche aufgebaut, benützt und wieder abgebaut wird, wie zum Beispiel Kabelbrücken oder Kameraplattformen.
Es wird zunächst eine Gap-Analyse durchgeführt, um festzustellen, was von der vorhandenen Technik für die benötigten Aufgaben ausreicht, die so eine Großveranstaltung verlangt. Das fängt an bei Kabelbrücken, Kameraplattformen, Pitch View Studios, Upgrade des Soundsystems, Sonderlösungen. Aber auch zusätzliche Zelte incl. der benötigten Infrastruktur, zusätzliche Wasserversorgung, Klimaanlagen, usw. und endet beim Kernthema von TECH: der temporären Stromversorgung. Dabei wird versucht, eine möglichst effektive und schlanke Lösung auszuarbeiten. Mit der Covid-Pandemie wurde ein weiteres Projekt „Health and Safety“ bzw. „Arbeits- und Gesundheitsschutz“ sehr stark ausgedehnt, um auch unter diesen schwierigen Bedingungen Fußballspiele durchführen zu können. Ein immenser Mehraufwand.
»Der übertragungstechnische Aufwand ist mit dem Betrieb eines temporären Rechenzentrums zu vergleichen.« – Karl Knappe zu den Anforderungen an das vorgelagerte Stromnetz
Karl Knappe: Grundsätzlich existiert ja ein Stadion. Es hat einen Ist-Zustand, wird mit Strom versorgt und hat viele funktionierende Anlagen im Bestand, die den normalen Spielbetrieb erlauben. Und dann kommt die UEFA mit einem Sonderanlass, mit einem sehr großen Event, z. B. der kommenden Europameisterschaft. Dann ist kein Stadion ausgerüstet, um all die zusätzliche Technik, die für so ein Großereignis benötigt wird, zu versorgen. Hier sind erhebliche temporäre Maßnahmen notwendig, die sich aus ganz vielen kleinen Puzzle-Steinen zusammensetzen. Diese zusätzlich benötigte Infrastruktur zu ermitteln und zu planen, ist eine der ganz wesentlichen Aufgaben des Technical Services Teams. Diejenigen, die sich mit der Außen-Fernsehübertragung von Veranstaltungen beschäftigen, wissen, dass man hier mit Versorgungsnetzen höchster Verfügbarkeit arbeiten muss.
Der übertragungstechnische Aufwand ist mit dem Betrieb eines temporären Rechenzentrums zu vergleichen. Ein vorgelagertes, örtliches Stromnetz wird nur mit großen Einschränkungen oder nur in Teilbereichen den Status „höchste Verfügbarkeit“ erfüllen können. Weder ein Stadionbetreiber noch der vorgelagerte Netzbetreiber können und wollen die Verantwortung bzw. Haftung für diese Sonderanwendung übernehmen.
Es obliegt also dem Veranstalter dieses Service-Level sicherzustellen und damit sowohl Planung , Auswahl der Partner wie auch die Umsetzung zu organisieren.
Erfahrungen aus der Vergangenheit
Höchste Verfügbarkeit der Energieversorgung bei großen Live Events ist allgemein üblich. Gab es ein Ereignis, dass dieses Thema in der UEFA in den Fokus gerückt hat?
Kai Zimmermann: Die UEFA EURO 2008 in der Schweiz und Österreich war hierfür sicherlich der Auslöser. Das Event fiel in eine Zeit, in der sich unsere TV-Produktion im Technologiewechsel von analoger zu digitaler Signalverarbeitung befand. Es gab in einigen Stadien teils massive Probleme mit der sauberen Signalgenerierung. Die komplexe Wechselwirkung von Bestandsinstallation der Stadien und der temporären Installation sorgte immer wieder für transiente Signalstörungen, die wesentlich dem Bereich EMV (elektromagnetische Verträglichkeit) zuzuordnen waren. Hinzu kam der Stromausfall im IBC (International Broadcast Center) in Wien durch einen Blitzeinschlag, welcher zu einer Weltbild-Signalunterbrechung eines der Halbfinals führte. Die Organisation musste am eigenen Event erfahren: ohne Strom keine Veranstaltung bzw. TV-Bilder. Eine prägende Erfahrung, die sicherlich dazu geführt hat, dass das Thema Energieversorgung auf der Agenda sehr weit oben zu finden ist.
Vom Stromnetz in die Unterverteilung
Wie geht ihr vor, wenn ein Stadion für eine UEFA-Veranstaltung den erhöhten Anforderungen gemäß vorbereitet werden soll?
Karl Knappe: Es ist ein strukturiertes, analytisches Vorgehen notwendig. Die Zeit, um bei der großen Aufgabenstellung ins Detail zu gehen, ist entsprechend kurz. Sobald die Stadien feststehen, treten wir umgehend mit ihnen in Kontakt, um Anlagenpläne zu erhalten; die Qualität dieser Unterlagen ist oftmals höchst unterschiedlich. Aber wir gehen einen wesentlichen Schritt weiter und betrachten auch das Netz des vorgelagerten Netzbetreibers des jeweiligen Stadtteils bzw. der Region.
Wir treten mit diesem Energieversorger in Kontakt und informieren uns über deren Versorgungsstrukturen. Dies geht mit Besichtigungen der Anlagen und Umspannwerke einher, um einen eigenen Eindruck zu erhalten, wie die jeweiligen Versorgungskonzepte sind und in welchem Wartungszustand sich die Anlagen befinden. Auch wird das persönliche Gespräch mit den Mitarbeitern vor Ort gesucht, um zu erfahren, wie die Herangehensweise in einem Störungsfall ist. Wie ist man dort aufgestellt? Was für Erfahrungen wurden gemacht? Welche Störfall-Statistiken gibt es? Wie sehen die Reserveleistungen für Netzumschaltungen im Störungsfall aus? Sind Flaschenhälse bereits auf dieser Ebene frühzeitig zu erkennen? Wir bewegen uns sozusagen von der Quelle zum Ziel bis zum Hochspannungs-Einspeisepunkt in das Stadion hinein und schauen uns dann an, wie diese Netze gebaut, gewartet und betrieben sind. Dazu müssen die zusätzlichen Bedürfnisse für die Veranstaltung, also dem Overlay, integriert, bzw. mit unseren Ansprüchen in Einklang gebracht werden.
Hier stellt sich dann die Frage, was mit welchem realistischen Aufwand umgesetzt werden kann und wo die Risiken sind bzw. welche Gefahren daraus resultieren. Natürlich spielt der wirtschaftliche Rahmen bei der Umsetzung eine erhebliche Rolle.
Kai Zimmermann: Eine detaillierte Herangehensweise, wie von Karl angesprochen, meint praktsich, wir gehen mit der Anlayse sehr stark in alle relevanten Versorgungsbereiche, um den Ist-Zustand nach baulichen Veränderungen mit den Plänen abzugleichen, wenn dieser Zweig Auswirkungen auf das Gesamtkonzept haben kann. Das Ziel ist,uns in ein bis zwei Tagen einen Gesamteindruck über das Stadion zu schaffen. Dies erlaubt uns eine Aussage zu treffen, was wir in dem Stadion zu erwarten haben und welche Problemstellung möglicherweise auf uns zukommt. Hier hilft uns das immense Wissen und der reiche Erfahrungsschatz von Karl, der die Event- wie auch die Energieversorgungsbranche kennt und damit Probleme erkennen kann, die für den einen oder anderen Spezialisten in dem Zusammenhang nicht gleich offensichtlich sind.
Karl, wie kommt man von der Eventtechnik zur Energieversorgung?
Karl Knappe: Broadcast- wie Eventtechnik werden temporär oft über nicht ausreichend bekannte Speisepunkte mit elektrischer Energie versorgt – alles natürlich unter Zeitdruck. Das funktioniert in der Regel, aber manchmal eben auch nicht. Dann ist die Frage, vor Ort und unter Zeitdruck, wer sich überhaupt mit Energietechnik soweit auskennt, um eine korrekte Ursachenermittlung und Lösungsansätze zu geben. Schlecht vorstellbar, die teuersten und besten Geräte vorzuhalten, aber man bekommt Schwierigkeiten, dass diese störungsfrei miteinander laufen.
Karl Knappe beim „Black-Building Test“, der eine Versorgungsunterbrechung simuliert (Bild: Kai Zimmermann)
In den Zeiten der Analogtechnik hatte man es mit Brummschleifen und anderen Effekten zu tun. Alleine oder im kleinen Kreis funktionieren die Geräte sehr gut, aber in komplexen Verschaltungen zum Teil mit unbekannten dritten Geräten funktioniert dann nichts mehr. Mich hatte immer die Frage interessiert: Warum? Was letztendlich zu einem zweiten Studium der Elektrotechnik und einer Wende in meinem Berufsleben führte – das Betreiben und Planen von Energieversorgungsnetzen in größerem Umfang. Also nicht die Energieversorgung von Events primär, sondern der globalere Netzbetrieb. Ich bin u. a. beteiligt an Projekten der Integration von regenerativer Energie, dies geht einher mit neuen Herausforderungen an Netze, um insgesamt die Netzstabilitätskriterien erfüllen zu können.
Meine Herangehensweise bei der Prüfung von Stadien gleicht der eines Inbetriebsetzens einer großen Kraftwerks- oder Umspannanlage. Hierzu zählt natürlich auch Selbstschutz, bevor eine Schalthandlung ausgeführt wird, die möglicherweise zu globalen Folgen oder zum Ende des eigenen Lebens führen kann. Dazu benötigt man massive Kenntnisse der Elektrotechnik und der Anlage bzw. wie die Systeme überhaupt aufgebaut sind. Dazu auch die praxisnahen Kenntnisse: Wie sehen Betriebsmittel aus, welche Verriegelungen bestehen, welche Lastflüsse finden statt? Das genaue Besichtigen unbekannter Anlagen mit allen Sinnen, ohne Betriebsblindheit, hilft sehr für einen ersten Eindruck. Zu den Sinnen kommen technische Hilfsmittel wie Thermokameras oder Sensoren für Teilentladungen in Hochspannungssystemen, ebenso natürlich auch Netzqualitätsmessungen, ob die normativen Grenzen eingehalten werden.
Black Building Tests
Karl Knappe: Mit „Black Building“ Tests – das ist das Abschalten der vorgelagerten Versorgung des Stadions durch den Netzbetreiber – überzeugen wir uns von dem tatsächlichen Funktionieren der Notstromsysteme.Wir sind uns bewusst, dass das speziell für einen Stadionbetreiber einen erheblichen Aufwand mit sich bringt, führt aber in der Regel zu wichtigen Erkenntnissen auf beiden Seiten, Stadionbetreiber und UEFA als Veranstalter. Z. B. waren Notstromsysteme, die allein aus baurechtlicher Sicht zwingend notwendig für den Betrieb einer Versammlungsstätte sind, nicht einsatzbereit oder funktionierten nur teilweise, weil die Umschaltungen nie scharf getestet wurden, weil wesentliche Wartungsarbeiten versäumt wurden.
Wir versuchen einen Netzausfall so realistisch wie möglich darzustellen. Also wir schalten nicht im Stadion bei den Kundenanlagen ab, die evtl. bereits über Hilfskontakte der Schaltanlage eine Meldung weitergeben, sondern vereinbaren mit dem Netzbetreiber im Umspannwerk, die vorgelagerten Strecken auszuschalten, damit dies den echten Netzausfall in dem Stadion simuliert.
Dabei wird das Stadion vorher in einen spielbereiten Modus gebracht, das heißt, das Flutlicht wird eingeschaltet und alle weiteren Systeme wie Sound System, Licht in Umgängen und Logen sind ebenfalls an. Dann sieht man im Test relativ schnell, wie solch ein System reagiert, welche Systeme an bleiben und in welcher Qualität. Genauso interessant ist es auch, zu beobachten, was passiert, wenn das Netz spontan wiederkehrt, worauf der Stadionbetreiber womöglich gar keinen Einfluss hat. Meist bei Gebäuden, die schon länger in Betrieb sind und über die Jahrzehnte eine Vielzahl an Erweiterungen erfahren haben, folgt oftmals die Erkenntnis, dass Systeme nicht reagieren, wie vorgesehen. Das sind die Themen, die wir in den Audits in die Hand nehmen, um dann schnell herauszufinden, wo die Lücken sind. Kann diese der Stadionbetreiber, der Gebäudeeigentümer schließen, evtl. auch mit der Unterstützung und Hilfestellung des TECH Teams? Oder sind dies Probleme, wo externe Lösungen von Seiten des Veranstalters, sprich der UEFA, in Angriff genommen werden müssen – wo wir wieder bei dem Thema Overlay sind. Ziel ist es, zumindest für den Zeitraum des UEFA-Events, für eine gewisse Funktionalität garantieren zu können und damit stabile Schnittstellen zu unseren anderen Projekten innerhalb des Events zu schaffen.
Kai Zimmermann: Der Hintergrund für den „Black Building Test“ ist die Fragestellung, ob der Spielbetrieb ungestört fortgesetzt werden kann, wobei wir uns hauptsächlich auf das Flutlicht konzentrieren. Das ist z.B. eine der Anforderungen, die die UEFA an die Stadien stellt und auch entsprechend kategorisiert hat. So hat man je nach Veranstaltungsformat auch unterschiedliche Levels an Anforderungen. Beim Champions League Finale benötigen wir z. B. ein unterbrechungsfreies Flutlicht. Und wir schauen dann mit diesen Tests, ob dies in Wirklichkeit auch so ist.
»Mit einem Dreizeiler, dass die Anlage gewartet wurde und sicher funktioniert, können wir uns nicht zufriedengeben.« – Karl Knappe
Karl Knappe: Dies fällt leider nur dann auf, wenn man diesen Test auch durchführt. Mit einem Dreizeiler, der erklärt, dass die Anlage gewartet wurde und sicher funktioniert, können wir uns nicht zufriedengeben. Die Realität zeig – egal, wo man in Europa schaut, und nicht nur in Sportstätten – leider etwas anderes. Wartung ist eben etwas Teures und wird als Erstes vernachlässigt. Auch hier das leidige Thema: Fachkundiges, qualifiziertes Personal zu finden, das überhaupt in der Lage ist, solche Wartungen durchzuführen. Das wird immer schwieriger.
Kai Zimmermann leitet seit 2021 das Technical Services Team der UEFA (Bild: Kai Zimmermann)
Wenn man ankündigt, die Stromversorgung beim Netzbetreiber für ein Stadion abzuschalten, wird man dann mit offenen Armen empfangen?
Karl Knappe: Ein spannendes Thema. Es zeigt die arbeitskulturellen Unterschiede in ganz Europa von Ost nach West bzw. Nord nach Süd. Ein Netzbetreiber hat ja nicht nur ein Fußballstadion zu versorgen, sondern da hängen noch ganz andere Aufgaben dahinter – wie das Betreiben von systemkritischer Infrastruktur. Die Auswirkungen haben wir kürzlich erst beim Ausfall des Tesla-Werkes [nach dem Brandanschlag auf einen Strommast des Netzbetreibers Edis, Anm. d. Red.] gesehen. Ein Netzbetreiber wird nie erfreut sein, wenn externe Fragen stellen. Er wird erst einmal prüfen, welche Personen hier anfragen und was der Hintergrund ist. Und das bedarf einiger Vorlaufzeit. Zusammenfassend kann man sagen, dass wir aufgrund unserer Erklärungen und Herangehensweise nie ersthafte Probleme haben, an die für uns relevanten Informationen zu kommen. In Summe haben wir mit den Kollegen aus dem Netzbetrieb sehr positive Erfahrungen machen dürfen. Es findet eher ein Austausch statt, z. B. was macht ihr anders und was sind eure Erfahrungen. So ist es eher ein Geben und Nehmen – wir sind dankbar für diese Kooperationsbereitschaft.
Bild: Karl A. Knappe
Durchgeschlagene 10-kV-Leitung aufgrund eines Verlegefehlers mit Ausfall wegen Teilentladungen
Bild: Kai Zimmermann
Neuverlegung von 34,5-kV-Kabeln im internen Stromnetz des Kemal Atatürk-Olympiastadions
Kai Zimmermann: Grundsätzlich verstehen wir, dass ein örtlicher Netzbetreiber, ohne genauere Kenntnis unserer Arbeit, erst einmal mit Skepsis reagiert, wenn die Delegation eines Sportverbandes das städtische Stromnetz evaluieren möchte. Es dauert aber meist nur wenige Minuten, in denen die Fachleute die gegenseitige Fachkompetenz erkennen. Von da an entsteht eine andere Gesprächsbasis unter den Experten. Die UEFA beabsichtigt nicht als „Tourist“ Umspannanlagen zu besuchen. Durch die gezielten, richtigen Fragen wird schnell unser Anliegen deutlich, gemeinsam Lösungen für eine stabile und sichere Versorgung zu finden. Im Allgemeinen sind die Stadien eher dankbar, wenn man ihnen ihre Probleme aufzeigt und anschließend zusammen auch Lösungsmöglichkeiten diskutiert. Wir sehen diesen Wissensaustausch zwischen der UEFA als Dachverband und den nationalen Verbänden sowie den Stadien und deren Betreibern als eine wichtige Aufgabe in Bezug auf Nachhaltigkeit.
Karl Knappe: Das kann auch darin münden, dass sich nicht nur eine temporäre Lösung für den Event selbst, sondern auch eine nachhaltige Änderung der regionalen Infrastruktur ergibt. Z. B. haben wir bei der Vorbereitung für das Champions League Finale 2023 im Atatürk-Olympiastadion in Istanbul mit dem dortigen Netzbetreiber umfangreiche Änderungen im vorgelagerten 34,5-kV-Netz vereinbart. Es wurden defekte Schaltanlagen mit Teilentladungen ausgetauscht, mit der Folge, dass diese städtischen Teilsysteme jetzt von einer höheren Ausfallsicherheit profitieren.
Achtung Ozongeruch
Was versteht man unter einer „Teilentladung“?
Karl Knappe: Ein beispielhaftes, einpoliges Hochspannungskabel für Erdverlegung besteht aus einem Leiter und einer Isolationsschicht in koaxialem Aufbau. Bei einem 34,5-kV-Kabelsystem ist der Potentialunterschied zur Erde immer noch 18.000 V. Der Ladungsdruck vom Innenleiter nach außen ist ganz enorm. Um den Ladungsdruck radial im Kern zu halten, ist eine Halbleiterschicht um den Innenleiter angebracht. Eine Teilentladung kann auftreten, wenn die Isolationsschicht oder die Halbleiterschicht durch Wassereintritt schadhaft wird oder weil das Kabel im Kabelbett nicht in feinem Sand, sondern in grobem scharfkantigen Kies verfüllt und verdichtet eingebaut wurde. Somit hat man einen Mantelfehler und es kriecht Wasser in das Kabel. Dann kommt es zu Teilentladungen.
Das bleibt lange unauffällig, bis dann irgendwann das Kabel explodiert, sodass in manchen Fällen die Gehwegplatten hochgeschleudert werden können. Auch bei Montagefehlern oder Schmutz bei den speziellen Endverschlüssen der Kabel, auch in Schaltanlagen, Leistungsschaltern oder bei den Sammelschienen, kann es zu diesen Teilentladungen kommen. Das ist eine ganz gefährliche Geschichte, weil dies zu einem plötzlichen Komplettverlust der Versorgung und zur Zerstörung der Anlage führt.
Wenn es sich um offene Schaltanlagen handelt, kann man diese Gefahr, diese Teilentladungen in der fortgeschrittenen Phase förmlich riechen, weil durch die Lichtbögen Sauerstoff der Luft in Ozon gewandelt wird, welches man ab einer bestimmten Konzentration riechen kann. So habe ich in der Ukraine zur Vorbereitung der UEFA EURO 2012 im Umspannwerk die örtlichen Betreiber gebeten, den Raum einer 110-kV-Anlage unverzüglich zu verlassen, weil der stechende Ozongeruch und die Geräusche der Teilentladungen bereits so stark waren, dass wir Anwesenden evtl. Teil eines Überschlages geworden wären, wenn wir uns weiter genähert hätten. Da muss man mit großer Vorsicht und Sachverstand vorgehen. Man kann das auch mit entsprechender Messtechnik herausfinden, was bei Verdachtsfällen auch angewendet wird.
Oder es ist in der internen Versorgung eines Stadions durch einen Montagefehler ein 10-kV-Kabel mit einem Erdkurzschluss ausgefallen. Mit der Folge, dass zwei Tage lang, während Fehlerortung und Instandsetzung das Stadion komplett stromlos war. Wenn so etwas während einer Europameisterschaft passiert, ist das dramatisch. Die Frage wird dann lauten: Wie gut war die Vorbereitung, welche Ersatzmaßnahmen gibt es? Wie schnell kann der Fehler gefunden werden, welche Umschaltmaßnahmen können durchgeführt werden? Wie gut qualifiziert sind die Mitarbeiter, sind sie darauf vorbereitet, haben sie sowas schon mal trainiert? Oder sind sie dann erstmalig davon betroffen, frei nach dem Motto: „Ich kenne da einen, aber der geht gerade nicht ans Telefon.“
Es geht auf der einen Seite um die Verfügbarkeit, damit die Übertragungen ablaufen, aber auch um sicherheitsrelevante Dinge wie Panikvermeidung bei Großveranstaltungen. Hier ist das Verhältnis zu Fußballspielen oder Menschenleben recht eindeutig.
Die „Strom-Insel“
Bild: Tony C. French
Drei Generatoren und ein Schaltcontainer für „Broadcast technical Power“ zur Veranstaltung
Aus dem Schaltcontainer folgen lange Kabelwege ins Gebäude
Wie sieht euer Stromkonzept letztendlich aus?
Karl Knappe: Auf der einen Seite gilt es, „Outside Hospitality“ – sprich Zeltsysteme und Energiebedarf für deren Klimaanlagen und Catering – zu versorgen. Diese werden in der Regel über die örtlichen, vorhandenen Stromnetze versorgt. Aber für die senderelevanten Dinge wie der klassische Broadcast-Compound, auf dem die Fernseh-Ü-Wagen stehen, muss eine hochverfügbare Versorgung sichergestellt sein, die nie von einem Stadionbetreiber oder Netzversorger sichergestellt werden kann. Somit ist dies auch eine temporäre Installationdie am Spieltag selbst die komplette Sendetechnik autark versorgt. Deshalb nur am Spieltag selbst, da die Versorgung mittels Dieselgeneratoren erfolgt und man wegen des Verbrennens von Diesel den CO2-Fußabdruck so klein wie möglich halten will. Das war aber bereits lange vor der aktuellen Nachhaltigkeitsdiskussion bei der UEFA ein Thema und nichts Neues. Man arbeitet also dual. In der Zeit des Aufbaus und der Proben wird mit vorhandenem Festnetz gearbeitet, um dann zu einem klar kommunizierten Zeitpunkt, in der Regel am Spieltag minus eins, auf ein Generatoren-Inselnetz umzusteigen – bis meist vier Stunden nach Abpfiff des Spieles. Für den Abbau der Veranstaltung wird dann wieder auf das örtliche Festnetz umgeschaltet. Beide Schalthandlungen geschehen unterbrechungsfrei, d.h. unser Kunde und die Nutzer bemerken dieses Umschalten nicht und werden in ihrer Arbeit nicht beeinträchtigt. Wir nutzen dafür die Begriffe Broadcast Domestic Power und Broadcast Technical Power.
Broadcast Technical Power Schaltplan der Hauptverteilung BTP
Karl Knappe: Für den Bereich Broadcast Technical Power haben wir ein System entwickelt, bestehend aus drei Diesel-Generatoren und einem Transformator sowie einer zentralen Schaltanlage. In der Grafik der Schaltanlage sehen wir eine Reihe von Abgängen (Q27 bis Q13) für die Versorgung von Broadcast Technical Power für Ü-Wagen, SNGs, Grafik-Mobilen und vielen anderen Einheiten mehr. Die nicht mehr ganz so essentiellen Funktionen des Broadcast Domestic Power werden dagegen mit Q10 – Q12 versorgt. Wir fahren hier ein Tripple-Play mit dem Synchronbetrieb von drei identischen Generatoren, gemäß der Event-Weißheit „Ein Generator ist kein Generator“. Man braucht zumindest ein Backup, dafür gibt es ja die gebräuchliche Twin-Pack. Aber wir haben einen dritten Generator hinzugenommen, um in der sehr ausgedehnten Installation in jedem Bereich ausreichende Spannungsqualität und Abschaltbedingungen zu erreichen. Hier handelt es sich zum Teil um 200-300 m Leitungsweg von der Hauptschaltanlage bis zu den Endverteilern.
Damit die Schutzmaßnahmen im Fehlerfall normgerecht abschalten können, brauchen wir Kurzschlussleistung, damit ein Fehler rechtzeitig erkannt und abgeschaltet wird. Mit einem Netztransformator kann man diese Bedingungen vergleichsweise gut erfüllen, da der Transformator in der Lage ist, kurzzeitig den ca. 12- 16-fachen Nennstrom als Kurzschlussstrom abzugeben. Dagegen kann der Vierpol-Synchrongenerator jedoch nur den der- bis vierfachen Nennstrom als Kurzschlussstrom bereitstellen. Er erzeugt also ein „weicheres“ Netz und reagiert lastabhängiger als ein Transformator-betriebenes Netz. Für die fachlich korrekte Anwendung von Generatoren in solchen komplexen Netzen muss die Innenimpedanz der Quelle weiter gesenkt werden, was hier nur über Parallelschaltung realisiert werden kann. Man könnte zwar größere Maschinen einsetzen. Es macht aber aus verbrennungstechnischen Gründen keinen Sinn, den Diesel nur im untersten Teillastbereich laufen zu lassen.
Zum Design eines solchen Energieversorgungssystems müssen Lösungen gefunden werden, die den ungestörten wie auch den gestörten Betriebsfall beherrschen und die Arbeitsweise von rotierenden Dieselmaschinen berücksichtigen. Natürlich gibt es hier auch einen dynamischen Wirk- und Blindleistungsausgleich, der über sehr genau arbeitende digitale Regel- und Schutzsysteme realisiert wird.
Das Thema Spannungsqualität müssen wir ebenfalls ganz klar im Auge haben, denn wir haben hochempfindliche und sehr teure Medien- und Sendetechnik angeschlossen. Jeder kennt die Thematik – Suchen nach transienten Störungen in komplexen Veranstaltungsinstallationen – es ist zehn Minuten vor Einlass und das System arbeitet immer noch nicht stabil … Die Kollegen, die mit Audio-, Video- und Lichtnetzwerken zu tun haben, kennen das: Ist irgendwo ein Fehler drin, gilt es diesen schnell zu finden. Das erfordert Glück und hohe Expertise. Wir versuchen, das Thema an der Wurzel zu packen, indem wir hochqualitative Versorgungsspannung zur Verfügung stellen, die an allen Übergabepunkten die Kriterien auch erfüllen kann.
Überwachung groß geschrieben
Karl Knappe: Neben der Erzeugung und dem Verteilen der Energie ist ein weiterer wichtiger Punkt die Überwachung bzw. das Monitoring der Spannungsqualität. Wie wir dies realisieren, ist in der Eventwelt wohl einmalig, weil hier Fehlermesstools und Software aus der Kraftwerks- und Netzleittechnik in die Eventtechnik exportiert wurden. Denn auf der Abnehmerseite haben wir es auch mit völlig unterschiedlichen Broadcast-Partnern mit unterschiedlichen Ü-Wagen und auch unterschiedlicher Fachkunde zu tun. Wenn sich jemand vor Ort über die Stromqualität beschwertkann dies durchaus berechtigt sein und es muss auf unserer Seite umgehend reagiert werden – oder es ist ein ganz anderes Problem ursächlich. Nur aufgrund welcher Fakten in der verbleibenden Zeit kann man dann richtig reagieren? Also braucht man Messtechnik, die das Essentielle mitschneidet. Das geht bei uns bis in temporäre Unterverteilungen hinein, die mit entsprechenden Poweranalyzern ausgestattet sind.
Hier kann man nicht mit irgendwelchen Schätzeisen oder Eieruhren hantieren. Man muss ein durchgängiges Messsystem in einer gewissen Qualität haben und all diese Messgeräte müssen die gleiche Zeitbasis aufweisen bzw. auf einen gemeinsamen Zeitstrahl schreiben, um die Ereignisse zueinander in Verbindung bringen zu können. Ohne diese Abstimmung auf die Messumgebung sind die Ergebnisse bedeutungslos und führen nicht zur Fehlereingrenzung. Es zeigt sich auch immer wieder, dass ein Messsystem auch nur so gut ist, wie der Mensch, der damit umgehen kann. Folglich muss man die Kollegen, die anschließend damit zu tun haben, heranführen und ausbilden. Auch das ist ein Teil des UEFA-Konzeptes, dieses Wissen weiterzugeben.
Zentrales Kompetenzcenter
Karl Knappe: Für die Europameisterschaft, die vom 14. Juni bis zum 14. Juli 2024 einen Monat dauert, überwachen wir alle Stadien zentral in einer Netzleitwarte, die in Leipzig im IBC eingerichtet wird. Von dort werden wir alle elektrischen Parameter von der Ferne aus überwachen. Also nicht nur vor Ort, sondern auch noch einmal zentral. Wenn es Probleme gibt, dann ist genügend Facherfahrung vorhanden, um lokal oder aus der Ferne unterstützend einzugreifen. Das Thema wird so auf eine breitere und damit sichere Basis gestellt. Dieses System haben wir erstmals 2012 bei der EURO Polen / Ukraine während 31 Spielen in acht Stadien mit großem Erfolg angewendet. Inzwischen sind wir bei 51 Spielen in zehn Stadien. Bei der EURO 2021 wurde das Remote Monitoring europaweit quer von St. Petersburg, Rom, Baku, Sevilla oder London durchgeführt und zentral nach Amsterdam übermittelt. Basis ist hier komplexe Netzwerktechnik zur Bereitstellung dedizierter VLANs, die eine herausfordernde aufwendige Installation darstellt, ähnlich wie man es vom Remote Recording [siehe auch unser Online-Beitrag „In 80 Millisekunden um die Welt“ aus 2021] her kennt.
Das machen wir bereits seit 2012 ebenso – nur anstatt von Tonsignalen eben mit Messdaten elektrischer Versorgungsnetze. Entsprechend der hohen Qualität dieser Mess- und Übertragungssysteme ist der Schutz vor Cyberangriffen speziell auf die Kontrollsysteme sehr hoch ausgelegt.
Noise Canceling im Stromnetz
Karl Knappe: Ebenso ist es ein Alleinstellungsmerkmal, dass die UEFA in ihren elektrischen Anlagen „Active Harmonic Filtering“ im temporären Eventumfeld einsetzt. Damit sind wir sicher die ersten, die einen solchen Weg beschreiten. Sozusagen ein Noise Canceling im Stromnetz. In der heutigen Zeit von Schaltnetzteilen, die hochgradig getaktet sind und Spannungen und Ströme innerhalb kürzester Zeit ändern, erfolgen erhebliche Rückwirkungen in das speisende Netz. Dies führt zu Verzerrungen der sinusförmigen Wechselspannung und zu transienten Überspannungen – all dies spielt sich im Nano- bis Millisekundenbereich ab. Man kann das beste Equipment vorhalten: Wenn es jedoch nicht stabil versorgt wird, sind Funktionseinschränkungen oder Spontanausfälle die Folge. Gerade die vorherrschende SMD-Technik in der Elektronik sorgt für deutlich höhere Überspannungsempfindlichkeit der Bauteile.
Besitzt die UEFA eigene Container mit dem entsprechenden Equipment oder kann man es sich auf dem freien Markt ausleihen?
Karl Knappe: Ich habe das Design entwickelt, welches vom UEFA Technical Services ausgeschrieben wurde und von einigen Lieferanten auf den Markt gebracht wurde. Die Technik des Active Harmonic Filtering kommt eigentlich aus der Industrie, wo man z. B. bei Roboterstraßen den auftretenden Transienten entgegentreten musste. Diese Systeme wurden dann für unsere Anwendung adaptiert. Durch die langjährige Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten besteht ein intensiver Austausch. Viele Dinge wurden, als wir mit dem Konzept erstmals auf den Tisch kamen, zunächst kritisch und als überdimensioniert betrachtet. Heute ist es für uns ein Standard für diese Art von Veranstaltungen bzw. Versorgung geworden, der sich in der Praxis nachweislich bewährt.
So hat sich die Sichtweise verändert, insbesondere wenn man die vorhandenen Normen liest und auch versteht. Wenn es dann um Haftung geht, sieht das sowieso ganz anders aus: Welche Lösung ist falsch und welche ist richtig – aus der Sichtweise von Vertragsjuristen?
Wie groß ist dieses Technical Service Team?
Kai Zimmermann: Wir sind hier in Nyon ein relativ kleines Team aus drei festangestellten Mitarbeitenden, drei Freelancern sowie externen Spezialist:innen und Expert:in-nen wie Karl, der als Experte für den Bereich Energieversorgung zuständig ist.Mit diesem Team planen und organisieren wir die Technik für die alljährlichen Finale der UEFA-Klubwettbewerbe, die UEFA Women’s EURO 2025 und UEFA-Veranstaltungen wie der UEFA-Kongress und Auslosungen. Die UEFA EURO 2024 in Deutschland wird von einem Team in Frankfurt aus in der EURO 2024 GmbH bearbeitet.
Karl Knappe: Klar bin ich der Designer der Anlagen, aber sowas macht man nie alleine. Es ist die Leistung eines großartigen Teams, dass wir so weit gekommen sind. Viele Menschen, die über Jahre daran beteiligt sind und ihre fachliche Erfahrung beigesteuert haben, oder auch die Lieferanten, die sich mit neuen Ideen und bis dahin branchenunüblichen Anforderungen konstruktiv auseinandergesetzt haben und fachlich großartig auf die Thematik eingestiegen sind. Wir stehen im Austausch und lernen weiter voneinander – das ist Team-Play par Excellence auf sehr hohem Niveau und nie die Leistung eines Einzelnen. Ich schätze diese seltene Konstellation sehr. ■