Stadttheater Bremerhaven

Radikale IP-Integration im Theaterbetrieb

In Bremerhaven wurde nicht nur ein Tonpult ersetzt, sondern ein ganzheitlicher Systemwechsel vollzogen. Inspiziententechnik, Intercom, Sprachalarmierung und Audio – alles verschmilzt in einer IP-basierten Infrastruktur. Was nach Konzept klingt, wurde im laufenden Betrieb Realität. Und wo liegen die Besonderheiten eines Mehrspartenhauses?

Inspizientenplatz mit IP-Bild, Bedien-Screen für X-Stage, iPad und drei X-Stage-Tastenfelder über/unter dem Riedel-Intercom (Bild: Detlef Hoepfner)

Das Stadttheater Bremerhaven gehört zu den kulturellen Ankerpunkten der norddeutschen Region. Als kommunal getragenes Dreispartenhaus mit Musiktheater, Schauspiel und Tanz richtet es sich an ein breites Publikum aus dem Weser-Elbe-Dreieck und darüber hinaus. In einer Stadt mit starker maritimer Geschichte und einem vergleichsweise großen Kulturangebot ist das Theater ein etablierter Bestandteil der regionalen Identität. Anders als viele große Repertoirehäuser mit dauerhaft laufenden Produktionen verfolgt Bremerhaven ein Spielzeitmodell mit häufigen Neuproduktionen. Das bringt besondere Anforderungen an Flexibilität und technologische Wandlungsfähigkeit mit sich. Ein technisches Umfeld, das den wechselnden Produktionsbedingungen gerecht wird, ist daher nicht bloß Komfort, sondern betriebliche Notwendigkeit.

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Hinzu kommt, dass sich das Haus durch eine hohe Eigenproduktionsquote, eine Vielzahl genreübergreifender Produktionen sowie durch eine besonders enge Verzahnung von technischer Abteilung und künstlerischem Team auszeichnet. Die technische Infrastruktur muss daher nicht nur effizient, sondern auch besonders wandlungsfähig sein – etwa für die schnelle Anpassung von Routing-Szenarien, Licht- und Tonverhältnissen oder inspiziententechnischen Abläufen. Diese Spezifika flossen maßgeblich in die Planung der Sanierung ein.

Auf einem Netz: Audio, Licht, Kameras/Video (Bild: Detlef Hoepfner)

Ausgangslage und Aufgabenstellung der Sanierung

Als Hardy Suchla die Leitung der Tonabteilung übernahm, arbeitete das Haus bereits mit einem Yamaha PM1D – einem System, das sich durch außergewöhnliche Langlebigkeit auszeichnete, aber inzwischen nicht mehr dem Stand der Technik entsprach. Der Wunsch nach einem zukunftsfähigen Ersatzsystem bestand seit Jahren, wurde jedoch im Rahmen klassischer Erneuerungsvorhaben immer wieder vertagt. Auslöser für die nun realisierte Erneuerung war die Erkenntnis, dass nicht nur die Audiotechnik, sondern auch Inspizientenanlage, Intercom und Sprachalarmierung grundlegender Modernisierung bedurften. Um parallel laufende Einzelmaßnahmen zu vermeiden, wurde die Idee entwickelt, sämtliche Systeme auf einer gemeinsamen, vollständig IP-basierten Infrastruktur zusammenzuführen. Damit rückte nicht nur die technische Sanierung, sondern ein konzeptioneller Neuanfang in den Mittelpunkt.

Ein zentrales Ziel bestand darin, Silostrukturen aufzubrechen. Viele Bestandssysteme arbeiteten parallel, aber ohne übergreifende Verbindung. Das erschwerte nicht nur die Wartung, sondern auch die Erweiterbarkeit und das Fehlertracking. Die neue Architektur sollte Schnittstellen schaffen – sowohl zwischen Gewerken als auch zwischen Abteilungen. Gleichzeitig war klar: Die neue Technik muss den laufenden Spielbetrieb unterstützen, nicht hemmen. Wartungszugänge, Redundanzkonzepte, Benutzerführung und Schulungskonzepte wurden deshalb von Anfang an mitgedacht.

Technische Umsetzung: Systemwandel mit Integrationstiefe

Die Umsetzung erfolgte in enger Zusammenarbeit zwischen dem Theater, weissbach mediaware (Systemintegration), Industrial Arts (Entwicklung des Inspizientensystems) und Yamaha Pro Audio. Im Zentrum stand die Migration aller tontechnischen und inspiziententechnischen Systeme auf eine durchgängige, IP-basierte Struktur. Dabei ging es nicht nur um einen Austausch von Geräten, sondern um die Erarbeitung einer neuen digitalen Betriebsplattform.


»100, 200 Kanäle Audio … was soll der Geiz? Aber bei Video kommt dann schnell der Schlips ins Rad und das Netzwerk muss auch mitwachsen können.«

Uwe Weissbach


Zentraler Bestandteil ist ein redundantes Rivage PM-System von Yamaha mit drei Bedienoberflächen und zwei Engines, das durch sein integriertes Personal-Monitoring und seine Netzwerkintegration für das kleine Team des Hauses besonders geeignet ist. Die Entscheidung für Yamaha fiel nicht nur aus technologischen Gründen, sondern auch aufgrund des Preis-Leistungs-Verhältnisses und der Flexibilität im Einsatz – von der Hauptbühne über Außenspielstätten bis hin zu mobilen Setups.

Die Audiovernetzung basiert vollständig auf Dante. Dabei wurde eine klare Trennung zwischen statischen und mobilen Endpunkten etabliert. Bühnenboxen, Funkstrecken, Regie-Setups und Monitoring-Einheiten lassen sich über definierte Ports eindeutig zuordnen. Die Verwaltung der ca. 100 Dante Devices erfolgt über den Dante-Controller oder wahlweise über den Hi-Controller der Firma Broadcast Solutions.

Tonregie mit markantem X-Stage-Screen (links) (Bild: Detlef Hoepfner)

Ergänzt wurde das System durch ein Timax Spatial Audio Tracking, das nicht nur Lautstärkebewegungen, sondern auch Delay-Werte in Echtzeit anpasst. Für die Inspiziententechnik kam das frei programmierbare System X-Stage von Industrial Arts auf Basis eines Q-SYS-Cores zum Einsatz. Dieses erlaubt es, komplexe Funktionen über grafische Oberflächen zu konfigurieren und mit bestehenden Systemen zu verknüpfen – ohne proprietäre SPS-Programmierung. Neben Sprechstellen, Lichtzeichen und Videoeinspielung können damit auch Videostreams, Türöffner, Lüftungsfunktionen und Sicherheitsdurchsagen integriert werden. Neben der Programmierung entwickelt IA auch spezielle Hardware, weil die Anwender:innen beispielsweise hohe haptische Anforderungen an ihre Tastenfelder stellen. Auch die mobilen Lichtzeichen und deren Ansteuerung (im Sub-GHz-Bereich) wurden selbst entwickelt, da ein normaler WLAN-Betrieb im Theater- und Publikumsumfeld nicht betriebssicher wäre.

Einen Sonderfall bildet die Sprachalarmierungsanlage. Über Dante mit dem Audio-Netzwerk verbunden, ist sie nicht nur normgerecht, sondern auch für szenische Zwecke nutzbar – ein Beispiel für die intelligente Doppelnutzung sicherheitsrelevanter Infrastruktur.

Die Netzwerkstruktur des Hauses wurde vollständig erneuert. Mit über 600 Ethernet-Ports, zentralem Core-Switch per Glasfaser und Segmenten für Audio, Video, Intercom und Steuerung auf Basis von Dante, AES67, SDVoE, NDI und Art-Net ist das Theater für kommende Anforderungen vorbereitet. Jeder Netzwerkport ist potenziell Audio-, Video-, Licht- oder Steuerleitung – ein Paradigmenwechsel gegenüber der klassischen Infrastrukturplanung. Die systematische Vergabe von VLANs und eine übersichtliche Patchverwaltung ermöglichen dabei eine schnelle Fehlerdiagnose und hohe Ausfallsicherheit. Durch die Verwendung von A/V-Switchen der Firma Netgear, die eine speziell für A/V-Anwendungen optimierte Benutzeroberfläche zur Verfügung stellt, kann die Verwaltung und das Troubleshooting nicht nur durch IT-Fachleute, sondern auch durch die Medientechniker des Hauses erfolgen.

Digitale Taktstock-Funktion: Dirigat über Systemintegration

Ein besonders innovativer Aspekt der neuen Infrastruktur betrifft die Möglichkeit, Dirigentenbewegungen digital zu übertragen – eine Funktion, die in Bremerhaven als „Taktstockfähigkeit“ bezeichnet wird. In Produktionen, bei denen der Dirigent nicht im direkten Sichtkontakt mit der Bühne steht – etwa bei externen Spielorten oder technisch verdeckten Szenen – kann das Schlagbild digital in das Inspizientensystem eingespeist und auf Bildschirme im Bühnenbereich oder in Nebenräumen übertragen werden.

Zum Einsatz kommt eine zentrale Kamera im Orchestergraben, die über NDI (Dirgenten-Übertragung per NDI nur in Bereiche, die nicht taktstocksynchron sein müssen) und SDVoE direkt in das Netzwerk einspeist. Zusätzlich ist eine mobile Kamera auf der Inspizientenbrücke verfügbar, um bei Bedarf alternative Perspektiven zu ermöglichen. Die Signale werden auf speziell eingerichtete Monitore geroutet – darunter Inspizientenplätze, Seitenbühnen, Maskenräume und Dirigentendisplays im szenischen Bereich. Die Monitore sind so positioniert, dass Darsteller die Dirigierbewegung im Augenwinkel wahrnehmen können, ohne frontal auf die Bildquelle blicken zu müssen.


Verrückt: Eins der ältesten Yamaha PM1D diente im Theater, bis Hardy Suchla es 2024 in den Ruhestand schicken konnte (Bild: Detlef Hoepfner)

»Bei der Inspiziententechnik ist man schon sehr gut beraten, die Inspizienten mit im Boot zu wissen, dass sie sich wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen – weil es ja ihr Arbeitsplatz ist. «

Hardy Suchla


Grundlage dieser Funktion ist eine durchgängige Videoverteilung über das IP-basierte Netzwerk. Die Kameraerfassung erfolgt durch fest installierte oder mobile PTZ-Kameras, deren Signale über NDI oder SDVoE direkt ins Netzwerk eingespeist werden. Von dort aus lassen sie sich auf verschiedene Zielsysteme routen.

Besonders wichtig ist dabei die geringe Latenzzeit, damit Bewegungen und Klangereignisse synchron bleiben. Dies wurde durch optimierte Netzwerksegmentierung, kurze Signalwege und eine präzise Taktung innerhalb des Q-SYS-Ökosystems erreicht. Uwe Weissbach: „Das eine ist, ein schnelles, unkomprimiertes Video zu haben. Zweitens dann aber auch schnelle Kameras , also idealerweise 120-Hz-Kameras. Und drittens schnelle Monitore. Das war auch ein sehr limitierter Faktor, weil die alten TFT-Bildschirme sehr, sehr langsam waren und sehr viel Latenz reinbrachten. Inzwischen nutzen wir für die Stellen, wo es darauf ankommt, Gaming Monitore, weil die wirklich für geringe Latenz optimiert sind. Die AV-Branche hat zehn Jahre lang geschrien „wir brauchen schnelle Monitore“, es hat niemanden interessiert. Dann kamen auf einmal 10 Millionen Gamer und plötzlich überbieten sich die Hersteller Samsung, LG und wer auch immer.“ Man sei mittlerweile unter einem Frame: „Inzwischen sind wir dort wirklich in Latenzbereichen, wo auch der Generalmusikdirektor sagt: Das kann man so nehmen.“ Hardy Suchla: „Ein Theatergebäude birgt sehr viele Entfernungen. Da war man mit SDI Kreuzschienen dann auch immer limitiert und auch einfach nicht so flexibel. Jetzt kann ich einen Browser aufmachen und sagen Okay, du bist meine Quelle, ich möchte dich jetzt im Nebengebäude. Da drüben möchte ich dich jetzt irgendwie empfangen, mit weniger als einem halben Frame Latenz. Das ist schon wahnsinnig.“

X-Stage: Tablet vom Inspizientenpult (Bild: Detlef Hoepfner)

 

Technische Eckdaten der Sanierung

Audiotechnik

  • Yamaha Rivage PM-System mit drei Bedienoberflächen und zwei Engines
  • Dante-Netzwerk mit redundanter Audioverteilung
  • Personal-Monitoring über Yamaha-Lösung
  • Timax Spatial Audio Tracking für szenische Lokalisierung

Inspiziententechnik

  • X-Stage-System auf Basis Q-SYS Core von Industrial Arts
  • frei konfigurierbare grafische Oberflächen
  • Touchscreens, Tasterfelder, Szenenspeicher
  • Intercom Riedel Artist 1024 incl. Bolero

Sprachalarmierungsanlage

  • über Dante ins Gesamtnetzwerk integriert
  • szenisch nutzbar, normgerecht realisiert

Netzwerkstruktur

  • über 600 Ports, sternförmige Verteilung
  • Netgear Switche M4300-96X, M4250
  • Glasfaser-Uplinks, max. 160GB/s
  • Audio: Dante, AES67
  • Video: SDVoE, NDI
  • Steuerung: Q-LAN, OSC, TCP/IP

Team v. r. n. l.: Uwe Weissbach, Hardy Suchla, Arthur Koll und Pirmin Punke (Bild: Detlef Hoepfner)

Erfahrungen während der Sanierung: Kommunikation und Komplexität

Die Realisierung erfolgte während des laufenden Spielbetriebs – ein organisatorischer und logistischer Kraftakt. Entscheidend für das Gelingen war die enge Zusammenarbeit zwischen Technikteam und Systemintegratoren. Hardy Suchla betont rückblickend die offene Kommunikation mit den Partnern als Schlüsselfaktor: „Wir hatten das Glück, frühzeitig Vertrauen und Freiräume zu bekommen – das war an anderen Häusern nicht selbstverständlich.“

Viele der im Projektverlauf getroffenen Entscheidungen konnten nur auf Basis eines engen Austauschs zwischen den Beteiligten getroffen werden. Dabei brachte jede neue Idee auch Herausforderungen mit sich: von Planänderungen über Lieferverzögerungen bis hin zu notwendigen Softwareanpassungen. Eine besonders anspruchsvolle Phase war die Umstellung der Netzinfrastruktur – hier musste jeder Patch, jede Konfiguration vorab simuliert und schrittweise umgesetzt werden. Ein Konfigurationsfehler in einem VLAN oder eine fehlerhafte Dante-Subscription hätte den Spielbetrieb gefährden können.

Das Bremerhavener Projekt war zugleich ein Pilotprojekt für „X-Stage“ und bot allen Beteiligten die Möglichkeit, neue Ansätze in realer Umgebung zu erproben und weiterzuentwickeln. Für Industrial Arts war es das erste Großprojekt, in dem das System mit einer vollständig integrierten Inspiziententechnik, Lichtzeichensteuerung, Durchsagen, Sprachalarmierung und sogar Videosteuerung verbunden wurde.

Ein wichtiger Bestandteil der Sanierung war die Schulung und Einbindung der Endanwender – insbesondere der Inspizienten. In Workshops wurden Funktionen, Tastenbelegungen und Oberflächenbedienungen detailliert besprochen. Dabei zeigte sich: Die größte Herausforderung war oft nicht die Technik selbst, sondern der Wandel der Arbeitsweise. Viele Anwender versuchten zunächst, ihre gewohnten Abläufe auf die neue Anlage zu übertragen – bis die erweiterten Möglichkeiten erkannt wurden. Die Offenheit der Anwender, sich auf neue Bedienkonzepte einzulassen, war entscheidend für den Erfolg der Umstellung.

Eigenentwicklung Signalisierungs-Anzeigen, auch mit drahtloser Bespielung
IP-Integration statt 100 Volt: Dante-/PoE-Lautsprecher in den Garderoben können je nach Nutzung unterschiedlichen Rufgruppen zugeordnet werden
Audio-Power: Yamaha-Rivage-Core, Prodigy MP, Timax mit Rack-PC von G2 und rechts drei Rio-I/O-Racks

Die Herstellerunabhängigkeit in der viele Geräte vereinenden Netzwerkstruktur und deren Konfiguration hat natürlich auch ihre Schattenseiten: Nicht immer funktionierten einzelne Komponenten in der Vergangenheit so, wie es dem Planer in den Specs versprochen wurde. Gewünschte Workflows wurden von den Planern in Workshops mit dem Theater-Team erarbeitet und besprochen, müssen aber dann auch zumindest für einen Zeitraum festgelegt werden. Und selbst innerhalb eine Produktes hat die Grenzenlosigkeit ihre Tücken, so Arthur Koll von Yamaha: „Wir versuchen natürlich, in Interaktion mit den Usern möglichst viel an Feature-Wünschen einzusammeln und auch umzusetzen. Aber es geht tatsächlich so weit, dass irgendwann bei uns die Leute sagten: Das schaffen wir in unserem Leben nicht mehr. Wir haben daher ein ‚Genius Lab‘ in die Pulte eingebaut – ein Fenster über welches das Pult für Anwender frei programmierbar ist. Wir haben es auch ganz bewusst ‚Genius‘ genannt – dann drückt hoffentlich nicht jeder drauf. Man kann sich oder dem Kollegen wunderbar ein Ei ins Nest legen. Sein wichtigster Schalter ist ‚Genius Lab off‘. Wir haben da einen sehr offenen Weg eingeschlagen. Wir können dann auch mal sagen okay, dies wird ein größeres Update, das werden wir machen. Aber das, was du jetzt hier gerade willst, lässt sich auch umsetzen, indem du diesen Bereich des Mischpultes aufmachst.“ Uwe Weißbach: „Es kommt bei anderen Projekten auch vor, dass man als Integrator relativ wenig Kontakt zum Endkunden hat, weil alles über ein Planungsbüro läuft. Hier gab es auch ein Planungsbüro, aber trotzdem einen sehr kurzen Draht zum Endkunden – das ist schon wichtig.“

Timax Spatial Audio Tracking, das nicht nur Lautstärkebewegungen, sondern auch Delays in Echtzeit anpasst (Bild: Detlef Hoepfner)

Erfahrungen im Spielbetrieb: Entlastung, Automatisierung, neue Freiräume

Mit der erfolgten Inbetriebnahme zeigt sich, dass die neue Infrastruktur nicht nur betriebliche Entlastung bringt, sondern auch gestalterische Freiheiten schafft. Personalengpässe in der Tontechnik können besser abgefangen werden, da Einführungsveranstaltungen oder Proben autark durchführbar sind. Mikrofone lassen sich remote aktivieren, Pegel und Routing via iPad steuern – das reduziert den Bedarf an Vor-Ort-Bedienung deutlich.

Abgelöst: die alte Signalverteilung (Bild: Detlef Hoepfner)

In der Praxis hat sich vor allem die modulare Struktur des Systems bewährt. Produktionen mit mehreren Tonquellen auf verschiedenen Bühnen können simultan vorbereitet und bei Bedarf zentral zusammengeführt werden. Die Regie kann via Netzwerk direkt in Probenräume oder Studios schalten, ohne separate Technik aufzubauen. Auch schnelle Umbauten im Repertoirebetrieb – etwa von Musiktheater zu Sprechtheater – sind nun mit wenigen digitalen Umschaltungen realisierbar.


Audionetzwerk

Ein zentrales Element der Modernisierung ist das auf Basis von Dante. Dieses ermöglicht eine vollständig digitale und latenzarme Signalverteilung mit hoher Redundanz. Zum Einsatz kommen mehrere Yamaha RPio622 I/O-Racks,Dante-Interface-Karten, redundant angebunden über Primär- und Sekundärpfade. Die digitale Signalverarbeitung wird über die beiden RIVAGE DSP-Engines gesteuert, die über einen internen TWINLANe-Ring mit den Stageboxen kommunizieren. Diese Struktur erlaubt eine präzise Steuerung, flexible Umverdrahtung und hohe Fehlertoleranz im Betrieb.

Besonders erwähnenswert ist auch das Spatial Audio-System von TiMax. Es greift auf Tracker-Daten von tragbaren Sendern zurück, die mit Antennenfeldern im Bühnenraum gekoppelt sind. Die Echtzeitdaten werden an die Audioengine übermittelt, die daraufhin die jeweiligen Delay-Zeiten und Pegelverteilungen auf die Lautsprecherarrays anpasst – eine Voraussetzung für realistische szenische Lokalisierungen bei Bewegung der Darsteller auf der Bühne.

Auf Seiten der Inspiziententechnik kommt neben dem X-Stage-System ein umfassendes Custom-Control-Konzept zum Einsatz. Über individuell gestaltete Touch-Panels lassen sich komplexe Szenenabläufe abrufen, Rufsysteme auslösen oder Sprachdurchsagen priorisiert senden. Der gesamte Aufbau ist redundant über zwei Q-SYS-Cores abgesichert, die sich bei Ausfall gegenseitig übernehmen können.

Auch das Intercom-System wurde vollständig in das IP-Netzwerk integriert.


Drei Medienserver von XI-Machines
TTS-Pult für die Antriebssteuerung

Gleichzeitig eröffnen die technischen Möglichkeiten neue kreative Wege: Immersive Klangräume, Projection Mapping oder szenisch genutzte Videosteuerung sind nun mit minimalem Verkabelungsaufwand realisierbar. Gerade im Musicalbereich steigen die Ansprüche an natürliche Sprachverstärkung und szenische Lokalisierung, denen mit Tracking und IP-basiertem Routing effizient begegnet werden kann.

Auch für Gastspiele und Fremdproduktionen ist das Haus nun deutlich offener: separate Netzsegmente, zusätzliche Dante-Karten und modulare Schnittstellen erlauben es, externe Systeme einzubinden, ohne die Infrastruktur zu gefährden. Selbst bei kurzfristigen Anforderungen sind nun flexible Lösungen möglich – eine Qualität, die gerade bei häufig wechselnden Produktionen entscheidend ist.

Ein weiterer Vorteil der IP-Integration: Garderoben können je nach Nutzung unterschiedlichen Rufgruppen zugeordnet werden: Eine Garderobe, die heute für Orchester genutzt wird und daher der Rufgruppe „Orchester“ angehören muss, kann morgen per Knopfdruck zur Rufgruppe „Ballett“ wechseln. Ein großartiger Vorteil der IP-Integration gegenüber klassischen 100-Volt-Rufanlagen.


Partner im Projekt

Hardy Suchla – Stadttheater Bremerhaven Hardy Suchla ist seit 2006 Tonmeister am Stadttheater Bremerhaven. Mit jahrzehntelanger Erfahrung und hohem technischen Anspruch hat er die technische Modernisierung mit Weitblick und Hartnäckigkeit vorangetrieben. In seiner Rolle als interner Projektleiter fungierte er als zentrale Schnittstelle zwischen den Gewerken, der Intendanz und den externen Partnern.

Uwe Weissbach – weissbach mediaware entwickelte zusammen mit Ingo Jakobs das Inspizientensystem X-Stage. (Ingo Jakobs ist Gründer und einer von zwei Geschäftsführern der Industrial Arts.) Uwe Weißbach trieb die Systemintegration voran und war in der ersten Phase für die Programmierung und Inbetriebnahme des X-Stage- und Yamaha-Systems zuständig. Das Konzept des Projektes stammt größtenteils von Ingo Jakobs und Uwe Weißbach sowie dem Planungsbüro AMT Ingenieurgesellschaft mbH Ralf Giese / Michael Oehlerking aus Hannover.

Pirmin Punke stieß etwas später zu Industrial-Arts als Application Ingenieur dazu und übernahm die weitere Programmierung/Inbetriebnahme.

Arthur Koll – Yamaha Pro Audio Als Application Engineer betreute Arthur Koll das Projekt seitens Yamaha von Anfang an. Er beriet das Theaterteam bei der Auswahl des Systems, begleitete die Inbetriebnahme und war maßgeblich an der Feinabstimmung der RIVAGE-Komponenten beteiligt. Sein Know-how im Live- und Theaterbereich floss direkt in die Implementierung ein.


»Projection Mapping hilft, eine Illusion auf der Bühne zu schaffen, die man nicht vorher anfertigen muss. Die Theaterwerkstätten arbeiten heutzutage detailverliebter, weil man auch mit Projektionen neue Räume schaffen kann. «

Hardy Suchla


Modellcharakter für andere Häuser?

Auch wenn jede Spielstätte individuelle Anforderungen mitbringt, lassen sich aus dem Bremerhavener Projekt übertragbare Lehren ziehen. Die konsequente Integration unterschiedlicher Gewerke in eine zentrale, netzwerkbasierte Infrastruktur bietet nicht nur technische Vorteile, sondern verändert auch die Zusammenarbeit zwischen Abteilungen. Die gemeinsame Nutzung von Systemressourcen – etwa durch Intercom-Überlagerung, Video- und Audionetze oder einheitliche Steuerungsschnittstellen – spart langfristig Kosten und schafft neue Freiräume für kreative Arbeit.

Gefahrenmeldeanlage (Bild: Detlef Hoepfner)

Hinzu kommt der Aspekt der Skalierbarkeit: Durch modulare Planung und virtuelle Schnittstellen kann die Infrastruktur mitwachsen – oder bei Bedarf dezentral erweitert werden. Damit ist das Theater nicht nur für kommende Anforderungen gerüstet, sondern auch offen für technologische Entwicklungen wie Remote-Produktion, automatisierte Steuerung oder KI-gestützte Abläufe.

Für viele Häuser stellt sich aktuell die Frage: Weiter modernisieren in Einzelschritten – oder die Gelegenheit nutzen, Infrastruktur neu zu denken? Bremerhaven liefert ein überzeugendes Beispiel dafür, wie letzteres gelingen kann.

Fazit: Flexibilität als Zukunftswert

Mit der technischen Erneuerung hat das Stadttheater Bremerhaven eine Infrastruktur geschaffen, die nicht nur den heutigen Anforderungen gerecht wird, sondern bewusst auf zukünftige Entwicklungen vorbereitet ist. Die Entscheidung für eine IP-basierte, modular erweiterbare Struktur erweist sich als zukunftsweisend – nicht nur im Sinne technischer Leistungsfähigkeit, sondern auch als strategische Investition in Flexibilität, Wartbarkeit und Offenheit.

Dass ein Stadttheater diese Rolle eines Pilotprojekts übernimmt, zeigt, wie hoch der Innovationsdruck in öffentlich getragenen Kulturbetrieben mittlerweile ist – und wie viel erreicht werden kann, wenn technische Vision und organisatorische Realität eng zusammenwirken.

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