Der Glöckner von Notre Dame

Aufwändig produzierte Musicals erfreuen sich steigender Beliebtheit. Eine gute Story – im Idealfall ein Klassiker wie etwa Bat Out of Hell, Das Phantom der Oper oder eben Der Glöckner von Notre Dame – gepaart mit opulenter Optik und einem dramatischen Sound-Erlebnis, gilt fast schon als Garant für langfristig ausverkaufte Häuser. Welchen Anteil hat daran die Aufgabe des Sound-Designers und wo liegen die Besonderheiten bei der Arbeit an einem Musical? Gareth Owen, dem wir bei seiner Arbeit für diese Disney-Produktion über die Schulter schauten, gilt als einer der erfolgreichsten Musical-Sound-Designer.

Bühnenbild: Der Glöckner von Notre Dame
Das Bühnenbild wird von der beeindruckenden Glockenturm-Konstruktion beherrscht. Die Glocken sind mit einem Trigger-System ausgestattet (Bild: Johan Persson)

Die Rolle des Sound-Designers stellt im Musiktheater gänzlich andere Aufgaben und Anforderungen als beim Film. Tatsächlich erschafft der Sound-Designer auch hier zunächst im Studio eine Geräuschewelt – nämlich im Prinzip alles Hörbare, was nicht vom Orchester oder einer Band gespielt bzw. von den Akteuren gesungen oder gesprochen wird. Darüber hinaus sorgen der Sound-Designer und sein Team an allen Aufführungsorten für ein optimales Klangbild und möglichst gute Sprachverständlichkeit. Das wiederum beinhaltet in Zusammenarbeit mit dem Veranstalter die passende Auswahl, Installation und Einrichtung sämtlicher Tontechnik sowie schließlich ständige Kontrolle und ggf. korrigierende Eingriffe in den Live-Mix während jeder Show. Mit einem Wort – der Sound-Designer zeichnet verantwortlich für alles, was Publikum, Schauspieler und Musiker während der Show hören können und sollen – eine überaus spannende und anspruchsvolle Aufgabe.

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Der Sound-Designer beim Musical

Zu den „Stars“ unter den Musical-Sound-Designern zählt der Brite Gareth Owen. In den vergangenen Jahren hat Gareth an einigen der weltweit größten und erfolgreichsten Musical-Produktionen maßgeblich mitgewirkt. Dazu zählen etwa Bat Out of Hell, Bodyguard, Sister Act und Der Glöckner von Notre Dame. Letzterer wurde im vergangenen halben Jahr im traditionsreichen Berliner Theater des Westens erfolgreich aufgeführt.

Gareth Owen

Der Brite Gareth Owen zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten Musiktheater-Sound-Designern weltweit. Über 25 Millionen Zuschauer weltweit haben bisher Events mit Gareth Owen-Sound beigewohnt. Zu den Highlights seiner Produktionen zählen u. a. Cats, Evita, Bodyguard, Disney’s Little Mermaid sowie Beauty & The Beast, Sister Act, Bat Out of Hell und natürlich Der Glöckner von Notre Dame. Gareth Owens Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Mehr Infos unter www.garethowensound.com

Gareth Owen
Gareth Owen (Bild: Dan Wooller)

Im Laufe seiner Karriere hat Gareth Owen zahlreiche Workflows und Tricks entwickelt, um verschiedenen, immer wiederkehrenden Problematiken der Musical-Produktion begegnen zu können. Ein äußerst komplexes Thema ist beispielsweise die Mikrofonierung: Während bei Rock-Konzerten Mikrofone sichtbar sein dürfen und sogar sein sollen, würden sie bei einer Musical-Aufführung als Fremdkörper wirken. Ebenso sind Artefakte wie Feedback und Übersprechen auf einer Konzertbühne durchaus „erlaubt“. Eine Musical-Inszenierung würde dagegen im höchsten Maße leiden, wenn etwa während einer Dialogszene Schrittgeräusche von Tänzern oder Rascheln von Kostümen in die Schauspieler-Mikrofone „leaken“ würden. Gareth hat deshalb viel Zeit und Mühe investiert, um für sämtliche Anwendungen den perfekten Mikrofontyp und deren optimale Positionierung zu finden. So tragen die Schauspieler unauffällig und asymmetrisch an der Stirn befestigte Sennheiser MKE2 oder DPA 4061 Miniatur-Mikros, die optimale Sprachverständlichkeit bei minimalem Übersprechen ermöglichen.

Um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, ist es dennoch notwendig, jedes Mikro nur dann zu öffnen, wenn es auch wirklich gebraucht wird. Das bedeutet die Verwendung eines automatisierbaren Mixers und dessen szenensynchrone Steuerung via detaillierter Cue-Listen. Hier sind, neben sämtlichen Mikrofon-Mutes, auch alle anderen klangrelevanten Ereignisse und die dazu notwendigen Einstellungen verzeichnet. Man denke etwa an Fades, Effekt-Anteile sowie Pegel und EQ-Veränderungen, die während der Show abgearbeitet werden müssen. Hier schwört Gareth auf sein flexibel konfigurierbares und vollständig automatisierbares Avid Venue S6L Mix-System. Zusammen mit der Multimedia-Steuersoftware QLab bildet er das Herzstück von Gareths Setup.

Flexible Konfiguration

Gareth Owen über seinen Workflow mit dem Avid Venue S6L: „Das S6L kann ich entweder über seine eigene Benutzeroberfläche bedienen oder via Ethernet und iPad fernsteuern. Ich konfiguriere die Kanäle zunächst am iPad so, dass ich einen sinnvollen Überblick habe – meist nehme ich die Kanäle 1 bis 64 für die Band, 65 bis 128 für die Vocals und 129 bis 192 für alles andere. Mit entsprechender Farbgebung und Blank-Channels gestalte ich meine Oberfläche übersichtlich. Dieses Layout übertrage ich dann in das S6L und gruppiere die Kanäle in Bänke wie etwa „Drums“, „Guitars“, „Keyboards“ etc. Über zusätzlich angelegte Aux-Returns kann ich auf einen Blick erkennen, welche Kanäle einer Bank einem bestimmten Bus-Output zugeordnet sind. Mit einem Wort: Ich kann den Signalfluss im Venue S6L vollkommen frei nach meinen Vorstellungen konfigurieren. Mit der noch relativ neuen 5.4-Software wurden die Konfigurations-Optionen sogar noch weiter verbessert. Es bleiben nun wirklich kaum noch Wünsche offen.“

Eine weitere Besonderheit dieser Musical-Produktion liegt im Monitoring. Im Gegensatz zu einer Band, bewegen sich die Akteure hier frei auf der Bühne – feste Monitorboxen sind somit unbrauchbar. In-Ear-Monitoring würde dagegen die Akteure zu sehr vom Rest des Geschehens isolieren. Gareth erstellt deshalb gerne via iPad und S6L-Fernsteuerung direkt auf der Bühne einen einzigen, sorgfältig ausgearbeiteten Monitor-Mix, der weitgehend dem Mix für das Publikum entspricht. Band bzw. Orchester arbeiten dagegen mit Aviom Monitor-Mix-Systemen.

Vom Studio auf die Bühne

Neben der Konfigurierbarkeit des Mischpultes ist natürlich die Soundqualität und die Kompatibilität zu Studio-Tools – üblicherweise Pro Tools – enorm wichtig. Gareth: „Auf dem Venue S6L laufen sämtliche AAX Plug-ins nativ. Ich habe also Zugriff auf einige der besten Plugins überhaupt und bin nicht auf einen bestimmten Hersteller beschränkt. Zudem lassen sich die Plug-in-Settings perfekt in das S6L importieren und dort automatisieren. Zu meinen Lieblings-Plug-ins zählen etwa der McDSP AE600 für dynamische EQ-Bearbeitungen, Sonnox Oxford für Drum-Reverb, Avid 3 für Vocal-Reverb, Avid Dynamic Compression für Bläser und Streicher, Sonnox TransMod für Drum-Kompression und McDSP ML8000 für Bus-Kompression.“

Auch die Kompatibilität des Avid S6L mit Pro Tools ist für Gareth ein entscheidender Faktor: „Pro Tools und das S6L arbeiten lückenlos miteinander. Wir nehmen sowohl Shows als auch Proben als Multi-Track-Sessions in Pro Tools auf. Im Theater selbst nutzen wir den Virtual Soundcheck-Mode des S6L, um den Sound zu optimieren, aber auch, um allen Beteiligten eine effektive Übungsmöglichkeit zu schaffen. Darüber hinaus kann ich die Pro-Tools-Sessions überall hin mitnehmen und in fast jedem Studio daran arbeiten. Genau genommen braucht man nicht mal mehr unbedingt ein Studio: Mittlerweile kann ich eine Session mit 192 Spuren auf meinem Laptop öffnen und bearbeiten – sogar im Flugzeug! Sehr praktisch ist auch die Möglichkeit, automatisch Snapshot-Marker in Pro Tools setzen zu können.“

Soundeffekte: Im Glockenturm

Während die Stärken des Venue S6L vor allem in seiner Anpassungsfähigkeit an verschiedenste Projekte liegen, stellte „Der Glöckner von Notre Dame“ noch mal zahlreiche Anforderungen ganz besonderer und spezieller Art. Gareth: „Wir haben hier mit wirklich beeindruckenden Sound-Effekten gearbeitet. Bemerkenswert sind etwa die Echos, wenn der Erzdiakon vom Glockenturm hinab ruft, oder die, mittels TLAudio Auto-Pan-Plug-in bewegten Stimmen in Quasimodos Traumsequenz.“ Das spektakulärste Klangereignis der Show sind jedoch die Glocken selbst. Gareth: „Als unser Regisseur den Wunsch äußerte, Quasimodo müsse die Glocken live läuten können, dachte ich zunächst – kein Problem. Sobald ein Glockenseil gezogen wird, triggert der Sound-Operator ein Glocken-Sample und fertig. Weit gefehlt! Als ich die beeindruckende Glockenturm-Konstruktion mit seinen sieben frei schwingenden Glocken zum ersten Mal sah, war mir klar, dass ein manuelles Auslösen unmöglich sein würde. So haben wir schließlich die Schlägel der Glocken mit 2-Wege-Schaltern versehen, die beim hin- und zurückschwingen je einen Trigger-Impuls erzeugen. Eine nachfolgende Schmitt-Trigger-Schaltung eliminiert Doppeltrigger und ein MIDI Solutions F8 wandelt die Impulse in MIDI-Signale. Diese wiederum steuern über QLab die Samples.“

8-fach Trigger-to-MIDI Converter von MIDI-Solutions wandelt die Schaltersignale der Glocken in MIDI-Events, welche wiederum die Glocken-Samples triggern (Bild: Matthias Fuchs)

Die Sample-Erstellung selbst bedarf ebenfalls einiger Aufmerksamkeit: „In meiner Library konnte ich einfach keine passenden Samples finden. Schließlich flog ich nach Paris, um die Original-Glocken direkt im Notre Dame-Glockenturm aufzunehmen. Um die riesigen Signalpegel managen zu können, entschied ich mich für ein Mikrofonpaar DPA 4004 in X-Y-Position. Die 4004 sind eigentlich Messmikrofone. Sie vertragen Pegel bis zu 168 dB und der Frequenzgang reicht hinunter bis 10 Hz – also perfekt geeignet für diese besondere Aufgabe. Aufgenommen habe ich mit meinem Sound Devices USBPre 2 Interface und einem MacBook Pro. Das hat erstaunlich gut funktioniert. Mit dem Avid EQ 3 habe ich die Schlägelgeräusche später noch etwas betont und mit einem Waves C4 die tiefen Resonanzen der Glocken reduziert. Dazu noch etwas Breitband-Kompression mit langer Attack-Einstellung vom Waves RCompressor, um perkussive und tonale Phasen der Sounds abzustimmen. Schließlich habe ich jeweils zwei Samples gelayert, um den Sound noch massiver zu gestalten. Die tiefer gepitchten Samples werden im Theater ausschließlich zu den Subwoofern geschickt. Das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen!“

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